Süddeutsche Zeitung

Sendling:Hahn zieht in Studenten-WG - und muss bald wieder gehen

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Gockel Gandalf Steve kommt bei seinen Mitbewohnern gut an. Doch sein lautes Krähen gefällt den Nachbarn nicht.

Von Sonja Niesmann, Sendling/Westpark

"Es gibt zwei Enten", merkte Lena Gerscher noch an, als sie einen Freund zur Feier ihres 21. Geburtstags einlud. Man muss nicht Kommunikationswissenschaft studiert haben, um zu wissen, dass auch die kürzeste Botschaft völlig missverstanden werden kann. Lena sprach vom festlichen Abendessen, von gebratenen Enten. Der Freund aber, der in Passau wohnt, assoziierte: Ländlich, Idylle mit Enten, Hühnern... Und brachte als Geburtstagsgeschenk einen Hahn mit. Einen lebenden.

So kam Gandalf Steve, "ein ganz Süßer", zwitschert Lena, also in die Großstadt, zu einer Studenten-WG in einem Häuschen an der Cimbernstraße, nahe dem Luise-Kiesselbach-Platz. Er scharrte und pickte sich durch den winzigen Garten, schlief nachts im Keller, "damit ihm nicht kalt wird" und wurde eifrig gestreichelt von Lena und den anderen. Nur das, was Hähne nun mal am meisten brauchen, konnten sie ihm nicht geben - Hennen. Natürlich tat Gandalf Steve auch, was in seiner Natur liegt: Er krähte vernehmlich, morgens um sechs das erste Mal.

Ziemlich schnell beschwerten sich Nachbarn, eine andere Nachbarin dagegen, der das Tierwohl am Herzen liegt, brachte Körner vorbei. Die Vermieterin, die von dem Federvieh Wind bekommen hatte, fürchtete um ihren Garten und ihre Terrasse und wies auf das Verbot hin, Haustiere zu halten. Und schließlich fragte auch noch die Vorbesitzerin aus der Gegend um Burghausen an, ob's dem Gockel gut gehe und hielt Lena Gerscher eine gesalzene Predigt, als sie erfuhr, wie wenig artgerecht Gandalf Steve da lebte an der Cimbernstraße.

Aufgescheucht telefonierte sich die 21-Jährige durch alle möglichen Stellen, die sie im Internet unter dem Stichwort "Hühner" finden konnte, um ein neues Zuhause für Gandalf Steve zu finden. Das Tierheim lehnte ab, verbunden mit der scherzhaften Empfehlung "Bringen's ihn halt auf die Wiesn", wo ja bekanntlich während zweier Wochen zigtausende Brathendl verspeist werden. Auch die Kinder- und Jugendfarm winkte ab - und die Gockelbesitzerin wider Willen wurde immer verzweifelter: "Niemand wollte einen Hahn."

Blieb nur eins: Nach einer Woche musste der originelle Schenker noch einmal anreisen aus Passau und den Hahn wieder mitnehmen, nach Burghausen, wo er herkam. Die Nachbarn sind erleichtert, Lena ist erleichtert. Und Gandalf Steve ist es bestimmt auch.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2019
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