Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft in München:"Ich habe alles getan, um die Insolvenz zu verhindern"

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Reiseagenturen, die keine Reisen mehr vermitteln können, Messebauer ohne Messen: Die Corona-Pandemie treibt viele Selbstständige in die Pleite - die Nachfrage bei der Schuldnerberatung der Stadt ist stark gestiegen.

Von Sven Loerzer

"Die Digitalisierung hat in der Reisebranche vieles schon vor Corona verändert", sagt Peter Müller. Als Inhaber einer Reiseagentur für Gruppenreisen war er in einer Nische tätig, in der persönliche Beratung gefragt war. Mit Ausnahme von komplizierten Reisen, Kreuzfahrten und individuell organisierten Gruppenreisen, bei denen das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund steht, habe sich das Geschäft zu großen Teilen ins Internet verlagert. "Corona kam dann zusätzlich", sagt Müller, der nicht unter seinem richtigen Namen über seine Lage sprechen will.

Im ersten Jahr der Pandemie seien seine Kunden überwiegend damit einverstanden gewesen, dass die zum Teil bis zu ein Jahr im Voraus gebuchten Reisen verschoben wurden. Aber als dann die Pandemie immer noch nicht vorbei war, "wollten die Kunden ihr Geld zurück", ihre Anzahlung in Höhe von 20 Prozent des Reisepreises. Doch laufende Einnahmen hatte Müller ja keine.

Müller reduzierte Kosten, machte im Home-Office weiter, verzichtete auf Aushilfen und Praktikanten. Die staatlichen Überbrückungshilfen für Fixkosten passten daher nicht, er nahm privat Darlehen auf. "Ich habe alles getan, um die Insolvenz zu verhindern", sagt er, "und sehr stark darunter gelitten, dass ich es nicht verhindern konnte." Es sei schlimm für ihn, "dass ich die Anzahlung nicht zurückzahlen konnte". Seine Kunden bekamen dann aber dank des Reisesicherungsscheins von der Versicherung ihr Geld zurück. Ihm selbst half die Schuldner- und Insolvenzberatung der Landeshauptstadt, die zu den wenigen Einrichtungen dieser Art gehört, die auch Kleinselbstständige beraten, durch die schwere Zeit.

Die Zahl der Anfragen von Selbständigen bei der Schuldnerberatung hat sich 2021 verdoppelt

Schon im ersten Corona-Jahr hätten sich die Anfragen von ratsuchenden Selbstständigen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt, erklärt Marc Wichlajew, Leiter der Schuldner- und Insolvenzberatung im Sozialreferat. Im vergangenen Jahr habe die Zahl weiter zugenommen, 589 Selbständige meldeten sich. Viele kamen aus Branchen, die vom Lockdown direkt betroffen waren, Veranstaltungstechnik, Künstler, Messebau, Gastronomie, Kosmetik, Wellness, Fitness, Coaches, Unternehmensberatungen und Dozenten. Daneben aber habe es auch indirekt Betroffene gegeben, sagt Wichlajew, etwa Backshops, denen nicht nur das Kundensegment der Schulkinder, sondern durch den Trend zum Home-Office auch das Mittagsgeschäft weggefallen ist. Oder Friseure, denen wegen der Absage der Wiesn das Geschäft mit den "von Münchnerinnen gerne getragenen aufwendigen Flechtfrisuren" wegbrach.

Peter Müller selbst bezieht inzwischen Rente und überlegt, wann er einen Neustart wagen kann. "Ich habe gerade die Ankündigung erhalten, dass meine Miete steigt", sagt Müller. "Mit meiner Rente allein reicht es nicht auf Dauer." Deshalb hofft er inständig darauf, künftig als Vermittler von Reisen arbeiten zu können, "wenn jetzt wieder mehr Öffnung kommt".

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