Süddeutsche Zeitung

München:Ein Rathaus wie aus einem Harry-Potter-Film

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Seit 20 Jahren gibt es die Filme über den jungen Zauberer. Und genauso lange wird das Münchner Rathaus schon mit Hogwarts verglichen. Vielleicht nicht ganz ohne Grund.

Glosse von Stefan Simon

Eigentlich eine schöne Vorstellung: lange Haare und Rauschebart, ein wallender Umhang und auf dem Kopf ein Quastenhut. Und wenn Dieter Reiter dann noch am Ende jeder Sitzung aufstehen und in die Hände klatschen würde, wenn aus dem Nichts grüne und rote Fahnen erscheinen und die Tische sich biegen würden unter der Last von gebratenen Hühnerschenkeln, Pasteten, Eis und Torten - zauberhaft. Natürlich würde der Oberbürgermeister den Schwarzen, Gelben und Blauen erst noch ein paar Hauspunkte abziehen. Aber später, nach dem großen Festmahl, würden alle beschwingt auf ihre Besen steigen und nach Hause fliegen. Oder am Marienplatz das Gleis 9 ¾ suchen.

Vor 20 Jahren kam der erste Harry-Potter-Film in die Kinos, und genauso lange wird das Münchner Rathaus schon mit Hogwarts verglichen, der Schule, die Zaubertränke und Verwandlung lehrt und die Verteidigung gegen die dunklen Künste. Meistens müssen als Parallelen das steinerne Treppenhaus, der kleine Sitzungssaal oder die Juristische Bibliothek herhalten. Harry Potter und der Hauberrisser? Wer weiß, über welche magischen Fähigkeiten der Rathaus-Architekt verfügte.

Dass an der Weinstraße ein kupferner Lindwurm die Fassade hinaufklettert, ist vielleicht kein Zufall. Ein Hinweis auf die Kammer des Schreckens? Liegt der Zugang unter dem Brunnen in der Rathausgalerie? Gibt es einen Raum der Wünsche und weiß jemand, wo er sich gerade wieder versteckt hat? Stimmt es, dass die Peitschende Weide auf dem Marienhof wegen der Arbeiten an der Zweiten Stammstrecke gefällt wurde?

Der magische Spiegel Nerhegeb immerhin dürfte in Sicherheit sein, er zeigt dem Betrachter seine tiefste und verzweifeltste Sehnsucht. Anzapfen mit einem Schlag? Die absolute Mehrheit bei der nächsten Wahl? Dieter Reiter wäre nicht der erste, der sich das mindestens einmal am Tag anschaut. Die Porträts seiner Vorgänger hat der Oberbürgermeister sicher in einen Nebenraum hängen lassen; meistens schlafen die Figuren ja, aber man kann sich da nicht sicher sein.

Angeblich begrüßt das Ude-Gemälde manchmal einfach so die "lieben Münchnerinnen und Münchner", auch wenn niemand in der Nähe ist, oder das Bild vom roten Schorsch beginnt ohne Vorwarnung über Hochhäuser zu schimpfen. Fehlt nur noch, dass im Prunkhof für Quidditch trainiert wird? Nun, eine Hexe, die auf einem Besen reitet, ist dort tatsächlich zu finden. Welcher Zauber sie in luftiger Höhe versteinerte, das wird ein einfacher Muggel aber wohl nie herausfinden.

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