Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Erben eines jüdischen Ehepaars erhalten NS-Raubkunst zurück

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Von Susanne Hermanski

Die Isar rauscht vorbei am Haus in der Widenmayerstraße 45, dazu der Strom der Autos. Ein Schild hängt neben der Eingangstür zu dem wuchtigen Gründerzeitbau. Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen habe dort gewohnt, von 1967 bis 1994, steht darauf. Das jüdische Ehepaar Julius und Semaya Davidsohn hatte dieselbe Adresse. Von den Zwanzigerjahren bis 1939 lebten die beiden dort in der Beletage, von 1932 an mit Semayas Bruder, der gehörlos war. Julius war mit seiner Frau aus Mannheim nach München gekommen. Er arbeitete als Teilhaber einer Reklamefirma. Was die Wände der beiden schmückte, war stolzer Ausdruck ihres Selbstverständnisses als deutsche Bildungsbürger - Stiche mit Gartenszenen, ein Ölbild aus den Niederlanden, ein Elfenbeinrelief, das in neun Stationen Schillers "Lied von der Glocke" illustrierte - eine Kunstsammlung war es nicht.

Als die Gestapo 1938, zwei Wochen nach den Novemberpogromen an der Wohnungstür der Davidsohns klopfte, walteten nicht etwa "rohe Kräfte sinnlos". Sie kamen gezielt, mit einer Liste, um bestimmte Kunstgegenstände mitzunehmen. Unten in der Straße wartete schon der Möbelwagen, um diese abzutransportieren. Die Gestapo wusste genau, was sie bei den Davidsohns finden würde, ebenso wie in den anderen der 70 jüdisch-stämmigen Haushalte, die ihre Leute in jenen Tagen des heute so genannten "Münchner Kunstraubs" heimsuchten. Wer ihnen das gesagt hatte, ist im Einzelnen unklar. Gewiss sei aber, sagt Bernhard Maaz, heute Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, "dass der Münchner Kunsthandel und auch Museumsleute darin verstrickt waren".

Bei dem Ölbild handelt es sich um eine Kopie nach Albert Cuyps "Auf dem Eise".

Die Kennkarten...

...des Ehepaars Davidsohn.

Die 2015 aufgetauchten, penibel geführten Beschlagnahmungsprotokolle der Gestapo machen es Provenienzforschern möglich, aktiv nach entsprechenden, "unrechtmäßig entzogenen" Objekten zu suchen und nicht zu warten, bis jemand zu ihnen kommt und Ansprüche stellt. Im Fall Davidsohn waren die Objekte vergleichsweise schnell ausgemacht, wenn auch verteilt auf drei Archive: das der Staatsgemäldesammlung, der Graphischen Sammlung und des Bayerischen Nationalmuseums. Bis dort an diesem Montag die Rückgabe an die Erben stattfinden konnte, vergingen dennoch vier Jahre.

Die Davidsohns waren kinderlos in Theresienstadt gestorben. Ermordet, wie Semayas Bruder, 1942 und 43, nach einer Zwischenstation, die sie im Sammellager in Berg am Laim durchlitten hatten. Die Nachkommen ihrer Verwandten leben heute in London, Simbabwe, Tel Aviv, Bielefeld und Mannheim. Alle mussten erst ausfindig gemacht werden, und sie mussten sich einigen, wie sie die Restitution wünschten.

"Wir haben uns entschieden, die Werke an einen Sammler zu veräußern, bei dem sie für uns und andere Familienmitglieder jederzeit zugänglich bleiben", sagt Hardy Langer, der Sprecher der Erben. Für seine Familie sei es "interessant gewesen, mit dieser Vergangenheit konfrontiert zu werden". Seine Großmutter Emma und Semaya waren Cousinen. Emma hatte sieben Geschwister, von denen nur eine Schwester und sie den Holocaust überlebten. "Das ist unserem Großvater zu verdanken, weil er zu seiner Frau stand", sagt Langer. Sprich weil er sich nicht, wie viele andere in dieser Zeit, von seiner jüdischen Frau scheiden ließ.

Insgesamt beschlagnahmte die Gestapo in den Nächten des Münchner Kunstraubs rund 2500 Kulturgüter, in einem zynischen Euphemismus sprachen die Täter vom "Sicherstellen" der Objekte. Die Einschätzung des Wertes der einzelnen Stücke übernahm im Fall der Davidsohns der Auktionator Ludwig Schrettenbrunner, überzeugter Nationalsozialist und Träger des Blutordens. Die Opfer erhielten freilich keine Kopien der peinlich geführten Protokolle. Abgezeichnet wurden sie vom Verantwortlichen für die Aktion, dem ehemaligen Würzburger Gestapochef Josef Gerum.

Die neun nun restituierten Kunstgegenstände der Davidsohns und eine später verschwundene, wertvolle Suppenterrine brachte der Möbelwagen zunächst nur wenige Meter weiter, bis in den damals neuen Seitenflügel des Nationalmuseums. Wenig später, als dort Platz gebraucht wurde für die Modelle der größenwahnsinnigen Bauprojekte Hitlers, wurden sie zusammen mit anderen Kulturgütern ins Maximilianeum gebracht und 1940 den Museen der bayerischen Landeshauptstadt zum Kauf angeboten. Außer für besagte Terrine fand sich für die Objekte der Davidsohns kein Interessent, laut Alfred Grimm, dem mittlerweile emeritierten Beauftragten für Provenienzforschung am Nationalmuseum. Sie wurden von Kriegsausbruch an in Bergungsdepots aufbewahrt.

Nach Kriegsende gelangten sie in den "Central Collecting Point" am Königsplatz, wo heute das Zentralinstitut für Kunstgeschichte sitzt. Stellvertretend für das ermordete Ehepaar Davidsohn meldete die Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) im Dezember 1948 Rückerstattungsanspruch an. Die Wiedergutmachung, die damals im Rahmen einer einmaligen Summe pauschal erfolgte, gilt heute als nicht mehr tragfähig. Die übrigen Werke blieben im Gegenzug in Bayerns Museen als "Überweisung aus Staatsbesitz".

Doch erst jetzt, sagt Bernhard Maaz, sei man dank weltweiter Vernetzung und entsprechender Personalstellen in der Lage, sich adäquat um diese Bestände zu kümmern. Und so ist er es, der am Montag in Begleitung der Angehörigen der Davidsohns, von Kunstminister Bernd Sibler und den Museumskollegen vor der Eingangstür der Widenmayerstraße 45 einen kleinen Strauß weißer Rosen niederlegt. Bald soll es dort auch eine Tafel geben, die Zeugnis davon ablegt, dass Julius und Semaya Davidsohn hier gelebt haben.

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SZ vom 06.08.2019
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