Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Neun Euro fürs Zusammenwachsen

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Das günstige Nahverkehrsticket in diesem Sommer bietet für München ganz neue Chance des gegenseitigen Kennenlernens über Viertelgrenzen hinweg.

Glosse von Stephan Handel

Jetzt, wo das 9-Euro-Ticket kommt, hat die Bildzeitung herausgefunden, dass auf Sylt die Angst umgeht: Jetzt, so die Befürchtungen, könnten sich nicht nur mehr die Großkopferten Reise und Aufenthalt auf der Nordseeinsel leisten, sondern Proleten, Gesindel, Pack und anderes vermögensloses Gschwerl. Allerdings gelangte die Nachricht natürlich auch nach Twitter, die Leute dort dachten: Eigentlich eine gute Idee, die Insel zu einem bestimmten Datum mit lauter 9-Euro-Ticket-Besitzern zu fluten. Die "Chaostage Sylt" waren geboren.

Für Münchner ist das eher nichts, weil die sich ja im Sommer auf die Wiesn vorbereiten müssen, und da gibt's eher eine Fischsemmel als eine Auster. Aber das Konzept lässt sich natürlich auch nach Bayern übertragen, da sind dann auch die Wege nicht so lang. Wenn zum Beispiel ein paar Giesinger Boazn-Hocker die U4 nehmen und im Herzogpark ein paar Hotelbars besetzen - das könnte bestimmt zu interessanten interkulturellen Begegnungen führen.

Mit U1 oder U2 zur Fraunhoferstraße: Alleinerziehende Frauen aus Milbertshofen könnten sicher wertvolle Tipps von einigen Glockenbach-Moms über vegane Babynahrung und derzeit angesagte Lebensmittel-Unverträglichkeiten erhalten. Umgekehrt könnten einige Herrschaften aus Solln eine Fahrt mit der Tram Nummer 19 unternehmen und so einmal herausfinden, wie es sich an der Landsberger Straße lebt.

Das wäre ganz bestimmt ein erkenntnisbringendes stadtsoziologisches Experiment, das Verständnis fördert und das Zusammenleben voranbringt. Und wenn sich dann alle Münchner über Viertelgrenzen hinweg umfassend verstehen, dann könnten doch alle mal an einem Samstag mit ihren 9-Euro-Tickets hinausfahren und nachschauen, was der Starnberger wochenends an seinem See so macht. Wie, das tun eh schon alle, auch ohne Billigtickets? Na also. Deshalb sind die Starnberger und die Münchner also so gute Freunde.

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