Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender für gute Werke:Endlich wieder eine Perspektive

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Bei der Initiative Jump bekommen junge Mütter wie Anita A. nicht nur Tipps für die Zukunft. Sie können zur Beratung auch ihre Kinder mitnehmen.

Von Clara Löffler

Still sitzt der dreijährige Emilio in der Spielecke und beschäftigt sich mit den Legosteinen, die dort ausgelegt sind. Nur ab und zu läuft er zu seiner Mutter, um ihr stolz zu zeigen, was er gebaut hat. Die Initiative Jump ist eine der wenigen Beratungsstellen für junge Mütter in München, wohin die Kinder mitgenommen werden können - ein Angebot, das für Alleinerziehende wie Anita A., 24, unerlässlich ist. Anita hat drei Kinder, die beiden älteren, sechs und sieben Jahre alt, sind gerade in der Schule.

Noch vor einem Jahr hätte die Situation ganz anders ausgesehen, denn alle drei Kinder mussten aufgrund coronabedingter Schul- und Kindergartenschließungen zu Hause bleiben. In einem einzigen Zimmer lebte die Familie damals, da kann es schnell eng werden: "Alles war zu, sogar die Spielplätze, die Kinder waren fast nur drinnen. Manchmal haben wir Spaziergänge gemacht. Die Kinder wurden dann natürlich unruhig. Das war eine sehr schwierige Zeit", erzählt Anita. Insbesondere dem ältesten Sohn fiel es schwer, in der Schule den Anschluss zu behalten. Einen Schreibtisch hatte er nicht, die anderen zwei Kinder lenkten ihn immer wieder ab. Den Onlineunterricht verfolgte er auf dem Handy der Mutter, einen Laptop kann sich Anita nicht leisten, einen Drucker schon gar nicht.

Anita bezieht Arbeitslosengeld II. Auch heute noch kann es vorkommen, dass die Kinder nicht in die Schule gehen dürfen, etwa wenn es einen Coronafall in der Klasse gibt. Anita muss besonders vorsichtig sein, ihr jüngster Sohn hat gesundheitliche Probleme, Corona würde ihn besonders hart treffen.

Immerhin konnte Anita nun endlich in eine Dreizimmerwohnung ziehen, sechs Jahre hatte es gedauert. "Für jede Wohnung gab es 300 bis 400 Bewerber. Da hatte ich keine Chance. Wenn ich gesagt habe, dass ich Kinder habe, haben die Menschen sofort Panik bekommen", sagt Anita. Auf Ebay wurde sie dann fündig, die Vermieterin hat selbst Enkelkinder und ist deshalb verständnisvoll. Doch dann kam das nächste Problem: Ein Jahr lang fand sie keinen Hortplatz für den Ältesten, dabei sei der gerade wichtig, sagt Anita, nicht nur damit ihr Sohn bei den Hausaufgaben betreut wird und sie arbeiten gehen kann, sondern auch, damit er mit anderen Kindern Deutsch spricht. Anitas Muttersprache ist Serbisch. Nun hat sie einen Platz gefunden, in einem privaten Hort. Die monatlichen Gebühren übernimmt die Stadt, die 300 Euro Kaution muss sie selbst finanzieren, nur wie?

Weil sich Anita ununterbrochen um ihre Kinder sorgte, ist ihre eigene Zukunft in den vergangenen Jahren auf der Strecke geblieben. Als sie mit 17 das erste Mal schwanger wurde, brach sie nach der achten Klasse die Schule ab. Zum Glück, sagt sie, habe sie immer viel Unterstützung erfahren, von ihren Eltern in Berlin sowie vom Vater der Kinder und dessen Eltern, auch wenn sie mittlerweile getrennt von ihm lebt. Hilfe erhält Anita auch von der Beratungsstelle Jump, beim Ausfüllen von Formularen, auf der Suche nach einer Kinderbetreuung, aber in erster Linie bei der Berufsorientierung. "Der Beruf steht bei uns im Mittelpunkt. Die Mutter ist Expertin ihrer eigenen Lebenssituation und definiert ein Ziel. Wir schauen, ob dieses Ziel realistisch ist und wie es erreicht werden kann", sagt Sozialpädagogin Gertrud Köpf. Zehn Monate dauert eine solche Betreuung etwa, sie endet, wenn die nächste Stufe der beruflichen Weiterbildung erreicht ist.

Anita würde gerne ihren Schulabschluss nachholen und eine sechsmonatige Qualifizierung zur ambulanten Altenpflegerin beginnen. "Manche alten Leute sind ganz allein. Es ist schön, das Gefühl zu haben, ich tue diesen Menschen etwas Gutes.", sagt Anita. Nicht nur deshalb hofft sie, dass es nicht zu einem erneuten Lockdown kommt. "Unsere Teilnehmerinnen sind alle ausgebrannt", sagt Gertrud Köpf. Hohe Abbruchquoten musste sie im vergangenen Jahr verzeichnen. In der Probezeit eines Jobs können Fehltage schnell zur Kündigung führen, manchmal aber geht es nicht anders, wenn wieder einmal der Präsenzunterricht ausfällt und das Kind zu Hause bleiben muss. Hinzu kommt, dass Behörden wie das Jobcenter momentan schwer erreichbar sind. Schon vor Corona waren die unterbesetzt, nun ist eine neue Belastung hinzugekommen. Umso wichtiger sei es, sagt Gertrud Köpf, dass jungen Müttern persönliche Gespräche wie bei Jump ermöglicht werden. Noch gibt es freie Plätze, auch die Zuweisung durch das IBZ Jugend und das Jobcenter gerieten während Corona ins Stocken.

So belastend der Pandemiealltag mit Kindern auch sein mag, bereut hat Anita ihre Entscheidung für die Familie nie. "Meine Kinder sind das Schönste, was mir je passiert ist. Sie kommen für mich immer an erster Stelle."

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