Süddeutsche Zeitung

München:Jugendamts-Chef muss Posten ruhen lassen

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Von Thomas Anlauf und Dominik Hutter

Bei der Aufklärung der umstrittenen Vertragsabschlüsse im Stadtjugendamt geht das Rathaus auf Nummer sicher: Markus Schön, kommissarischer Leiter der Behörde, muss sein Amt ruhen lassen, bis das Revisionsamt seine Prüfung beendet hat. Schön hatte Ende Mai Verträge mit Sozialorganisationen unterzeichnet, die sich um jugendliche Flüchtlinge kümmern. Dabei war ein Personalschlüssel von statistisch einem Betreuer je 2,5 Jugendliche vereinbart worden - zuvor war ein Verhältnis von eins zu fünf üblich gewesen.

Diese nicht abgesprochene Änderung hatte für erheblichen Unmut im Rathaus gesorgt. Sollte sich herausstellen, dass Schön rechtmäßig gehandelt hat, soll er offenbar auf seinen Posten zurückkehren dürfen. Das Jugendamt wird kommissarisch geleitet, da dessen eigentliche Chefin Maria Kurz-Adam seit Herbst 2014 krankgeschrieben ist.

Mit den Ermittlungen im eigenen Haus hat die neue Sozialreferentin Dorothee Schiwy einen schwierigen Start erwischt - ohne eigenes Verschulden freilich. Denn die Vorgänge fanden vor ihrem Amtsantritt statt. Die frühere Vizechefin der Behörde und langjährige Bürochefin von Christian Ude leitet das Amt erst seit 1. Juli. Nach eigener Aussage hat Schiwy die mögliche Brisanz der Vorwürfe frühzeitig erkannt und die Innenrevision eingeschaltet.

Als Oberbürgermeister Dieter Reiter dann in der vierten Augustwoche aus dem Urlaub zurückkehrte, entschied er sich jedoch, die Prüfung dem personell erheblich besser ausgestatteten Revisionsamt zu übertragen, das für die gesamte Stadtverwaltung zuständig ist.

Bei den Untersuchungen des Revisionsamtes geht es vor allem um die Frage, ob Schön den Stadtrat hätte einschalten müssen, bevor er einen besseren Betreuungsschlüssel vereinbart. Zudem wollen die Prüfer herausfinden, ob die Zahl der angeheuerten Betreuer insgesamt bedarfsgerecht war. Denn inzwischen kommen deutlich weniger jugendliche Flüchtlinge in München an als noch im vergangenen Jahr. Andererseits gilt es auch nicht als sinnvoll, die Kapazitäten allzu schnell herunterzufahren, da sich die Situation durchaus wieder ändern kann.

Ein Sozial-Funktionär hatte sich mit den Worten zitieren lassen: " Die Stadt bezahlt Leute fürs Nichtstun." Ob das stimmt, ist bislang offen. Aus fachlicher Sicht ist ein Betreuungsschlüssel von 1 : 2,5 bei Jugendlichen keineswegs unüblich. Nach Auskunft von Sozialreferats-Sprecher Ottmar Schader gelten für Flüchtlinge prinzipiell die gleichen Maßstäbe wie für deutsche Jugendliche. Dementsprechend sei noch 2014 ein Verhältnis zwischen 1 : 1,5 und 1 : 3 bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge normal gewesen. Je nach Alter und Situation.

Erst als die Zahl der nach München strömenden Menschen immer größer wurde, sei man von diesem Standard abgewichen, so Schader. Im März 2015 segnete der Münchner Stadtrat eine Vereinbarung zwischen dem Sozialreferat, der übergeordneten Behörde des Jugendamts, und der Regierung von Oberbayern ab, in der man sich auf einen Betreuer für jeweils fünf Jugendliche verständigte.

Diese Zahl war laut der Stadtratsvorlage allerdings keine Obergrenze, sondern vielmehr ein "unabdingbarer Mindeststandard". Laut Schader hielten die Behörden ein solches Betreuungsverhältnis für noch vertretbar, da viele der nach München geflohenen Jugendlichen für ihr Alter vergleichsweise selbständig seien. Andererseits sei den Experten sehr wohl bewusst, dass viele Jugendliche mit den Erlebnissen vor und auf ihrer monatelangen Flucht schwer belastet sind sowie sich auf eine neue Sprache und ein neues Lebensumfeld einlassen müssen. "Das muss man austarieren", erklärt Schader.

Schwierige Lage für die Ämter

Im Rathaus gilt es angesichts der inzwischen entspannteren Flüchtlingssituation durchaus als möglich, dass der Stadtrat den neuen Betreuungsschlüssel im Nachhinein noch absegnet. 2015 hatten die Gespräche mit der Regierung von Oberbayern auch im Vorfeld des Stadtratsbeschlusses stattgefunden. Die Logik könnte daher lauten: Das Jugendamt hat lediglich den einst üblichen und eigentlich wünschenswerten Zustand wieder hergestellt. Ob das Ganze allzu eigenmächtig ablief, muss das Revisionsamt beurteilen.

Damals war die Stadt in einer schwierigen Lage gewesen, da für die Jugendlichen stets die Behörden der Kommune zuständig waren, in denen sie aufgegriffen wurden. München hatte aufgrund seiner geografischen Lage einen erheblichen Teil sämtlicher nach Deutschland einreisender Jugendlicher zu betreuen - ein Problem, das bereits Monate vor dem großen Flüchtlingsansturm des Spätsommers 2015 akut wurde. Erst seit Herbst 2015 werden auch Jugendliche nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel bundesweit verteilt.

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SZ vom 31.08.2016
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