Süddeutsche Zeitung

Harry Styles in München:Auf ihn mit Gebrüll

Lesezeit: 4 min

Megastar Harry Styles zeigt bei seinem Konzert in der Münchner Olympiahalle, weshalb er als Ikone seiner Generation gilt: mit alten und neuen Hits, lieb gewonnenen Ritualen, charmanten Schäkereien und dem richtigen Look.

Von Anna Weiß, München

"Und jetzt sagt der Person rechts von euch, dass ihr sie liebt. Und der Person links von euch. Und dann schließt die Augen und sagt es zu euch selbst", fordert Harry Styles sein Publikum in der brechend vollen Olympiahalle während seines Konzerts auf. Die Tausenden Fans kommen diesem Auftrag hingebungsvoll nach, schließlich ist Styles unter dem Motto "Love On Tour" auf Weltreise, und wenn es etwas an diesem Abend im Überfluss gibt, dann Liebe und Lautstärke.

Zwei Jahre lang haben die Fans ausharren müssen, da die "Fine Line"-Tour zu Harry Styles gleichnamigem Album pandemiebedingt verschoben werden musste. Mittlerweile ist das dritte Soloalbum des Briten erschienen. Der ist durch die in der Castingshow "X-Factor" gegründete Band One Direction berühmt geworden und erlebt seit dem Start seiner Solokarriere eine noch immer andauernde Heroisierung als Galionsfigur einer neuen, bunten, aufgeklärten Generation sowie Mode-Ikone (er war der erste Mann, der alleine das Cover der Vogue zierte) und wird auch als Schauspieler besetzt. "Harry's House" heißt das neue Album und wird von den Fans als Metapher für das Gefühl von Inklusion und Geborgenheit gefeiert, das der 28-Jährige ihnen vermittelt.

Mit dem Eröffnungsstück der Platte, "Music for a Sushi Restaurant", startet Styles in die Show und sprintet in rot-pinker Lederhose und weiß-rotem Shirt zu dem Achtzigerjahre-inspirierten Song mit der dicken Baseline, der so klingt, als habe Quincy Jones seine Finger im Spiel gehabt, über die Bühne. Darauf folgen die Hits "Golden" und "Adore You" von "Fine Line". Als Harry Styles sich im Anschluss vorstellen möchte, kann er es nicht, weil so viel geschrien wird. Es folgen einige neue Songs, ein paar von ihnen exponiert auf dem Bühnensteg mit zwei Musikerinnen vorgetragen.

Lob an die Schnurrbart-Väter mit den pinken Hemden

Das neue Album ist stilistisch anders als das vorherige, das maßgeblich zu Harry Styles' Status als zeitgemäße Pop-Ikone beigetragen hat. Mit "Fine Line" hat Styles auch seinen eigenen - modischen - Stil geändert, es kamen die Schlaghosen, Federboas, Rüschenhemden. Bei dem Konzert zeigt sich bei einigen Liedern von "Harry's House", dass ihnen auch eine kleine Clubtour stehen würde - etwa, wenn über das melancholische "Keep driving" drübergebrüllt wird. Mit dem hymnischen "Lights Up" wird es dann wieder stadiongerecht. Styles schäkert während des Konzerts mit seinen Fans, lobt Väter für ihre Schnurrbärte und pinke Hemden, und auch Rituale, die noch aus der Zeit bei der Boyband One Direction stammen, werden zelebriert: So ruft Styles "This is a family show" um dann schelmisch zu fragen " ... or is it?".

Styles bringt diesen Satz seit mehr als zehn Jahren bei allen Konzerten und fasst damit auch den Wandel seines eigenen Status' zusammen: War er in der Boyband erst der Niedliche mit den Locken, wurde er in späteren Phasen der Band zum langhaarigen Dirty Harry, den die Klatschpresse wegen seiner Affären mit Victoria's-Secret-Models belagerte, und im Laufe seiner Solo-Karriere zum Unterstützer der LGBTQIA-Bewegung - wenn auch zu einem umstrittenen. Denn Styles wird einerseits für die Sichtbarmachung der queeren Community gelobt, andererseits gibt es Stimmen, die ihm vorwerfen, sich queerer Motive aus kommerziellen Gründen zu bedienen.

Als die erste Pride-Flagge geworfen wird, passt dies laut Styles perfekt zu seinem aus drei Songs bestehenden "Disco Medley", und spätestens beim zweiten Stück "Treat People With Kindness" ist es wieder eine Show für die ganze Familie. Der Song hat Rock-Opera-Anleihen und versprüht Musical-Stimmung. Styles kokettiert mit einer Hand an der Hüfte, und immer, wenn die Stimmung in der Halle so hochkocht, dass keine Steigerung mehr möglich scheint, setzt er noch einen drauf. Etwa wenn er "wait for it" ruft, das Publikum auf den Refrain heiß macht und dann auf Deutsch bis vier zählt - und es wieder losgeht, mit noch mehr Kraft, noch mehr Ekstase. Die wird noch gesteigert, als er den One-Direction-Megahit "What Makes You Beautiful" auspackt.

Die sechsköpfige Band wird von Styles mit jeder Menge Respekt vorgestellt, mit drei von ihnen spielt er schon länger zusammen. Gitarrist Mitch Rowland ist der Gegenpol zu Harry Styles, während der rennt und tanzt und lacht, steht der Gitarrist stoisch mit seinem Instrument da, in der mehr als zwei Stunden andauernden Party verzieht er kaum ein Gesicht. Zusammen mit Multiinstrumentalistin Ny Oh und Drummerin Sarah Jones bildet er den Kern der Band.

Während des Konzerts wirft Styles beim Singen ab und an einen Blick auf die Leinwände hinter ihm und kann sich selbst dabei zusehen, wie seine Legendenbildung unermüdlich weiterläuft. Die großen Posen wie den in den Himmel gereckten Mikrofonständer bei "Love of my life" haben Styles zuletzt Vergleiche mit Freddy Mercury eingebracht. Genau so vielfältig wie die Outfits des Megastars sind auch die Vergleiche zu Musikern aus vorherigen Jahrzehnten. Styles wird wahlweise in einem Atemzug mit David Bowie und Elton John genannt - wenn es um die Looks geht - oder mit Robbie Wiliams, wenn der Soloerfolg eines ehemaligen Boyband-Mitglieds Thema ist.

Und darin liegt auch ein wenig die Krux der Sache: Das, was Harry Styles macht, ist nicht neu. Männer, die Bühnen in Frauenkleidern rocken und Gendergrenzen verwischen, standen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts oft auf Bühnen. Dafür, dass es ein Armutszeugnis für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist, dass es reicht, sich als weißer und wahrscheinlich heterosexueller Mann nicht wie ein Arschloch zu benehmen und damit als Ikone einer neuen Generation gefeiert zu werden, kann Harry Styles natürlich nichts.

Harry Styles beherrscht ungefähr zweieinhalb Tanzschritte, die er gerne variiert (Hüfte links, Hüfte rechts, Schulterroller mit angewinkelten Armen), neu dazugekommen ist mit "As it was" das fröhliche Springen, bei dem er alle Gliedmaßen von sich schmeißt. Der Song ist eine Single-Auskopplung aus dem aktuellen Album. Zusammen mit der Ballade "Sign of the Times", die Styles 2017 zum erfolgreichen Solokünstler machte, dem sexy vorgetragenen Sommerhit "Watermelon Sugar High" und dem nur live gespielten "Medicine" ist der Song eine der Zugaben.

Doch, es ist eine Show für die ganze Familie. Diese Familie ist bunt, laut, inklusiv und gönnt ihrem Helden die Liebe, die er sich für seine Tour wünscht.

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