Süddeutsche Zeitung

Candid-Tor in Giesing:Ein bisschen Klassenkampf: Anwohner wehren sich gegen Gentrifizierung

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Giesinger lehnen das geplante Candid-Tor ab - weil der Bau nicht in das Viertel passe, dessen "Wertesystem sich noch nicht ausschließlich am Geld orientiert".

Von Julian Raff, München

Das geplante Candid-Tor in Untergiesing bleibt trotz des versprochenen öffentlichen Mehrwerts ein unpopuläres Projekt, wie die jüngste Einwohnerversammlung noch einmal zeigte. Die Stadt solle demnach den 64 Meter hohen Torbogen auf dem Ärztehaus-Grundstück am Candidplatz entweder ablehnen oder zumindest unabhängige Studien zu Verkehrsbelastung, Verschattung, Lichtverschmutzung und anderen drohenden Nachteilen vorlegen.

Die Bürgerrunde mit Abstimmungsmöglichkeit hatte Bezirksausschusschef Sebastian Weisenburger (Grüne) Anfang Mai am Ende eines Informationsabends zugesagt, den Teilnehmer als Werbeveranstaltung der Investoren kritisiert hatten. Nach wie vor plant das Starnberger Büro Ehret+Klein in Kooperation mit der Hamburger Values Real Estate einen überwiegend für Büros und medizinische Dienstleister vorgesehenen Komplex. Einen Bauantrag haben sie noch nicht gestellt, da die dafür nötige Ausweitung des Baurechts nur über einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan möglich sein wird.

Auf städtischer Ebene hat sich bisher nur die Stadtgestaltungskommission geäußert - überwiegend skeptisch. Der Bezirksausschuss (BA) lehnt die Planung zumindest in jetziger Form ab und fordert eine Gesamtbetrachtung des Platzes. Das Mitspracherecht seines Gremiums stufte Weisenburger allerdings gleich zu Beginn der Versammlung als "formal gleich Null" ein. Allerdings wird der BA ebenso wie die Anwohner im Bebauungsplanverfahren zumindest angehört.

Aus der Versammlung erhielt er dabei ein klares "Nein"-Mandat: An die hundert Anwohner waren gekommen, 18 von ihnen stellten 35 durchweg kritische Anträge. Auch den weitestgehenden, nämlich die Planung pauschal zu verwerfen, nahm die Versammlung mehrheitlich an. Die Begründung der Antragstellerin, wonach das Projekt nicht in ein Viertel passe, dessen "Wertesystem sich noch nicht ausschließlich am Geld orientiert", ließ erkennen, dass zahlreiche Untergiesinger die Gentrifizierung offenbar nicht als unabwendbar hinnehmen wollen.

Neben kultur- und klassenkämpferischen Anklängen waren aber auch pragmatischere Einwände zu hören: Gefordert wird unter anderem ein Bau nach dem höchsten Energie-Effizienzstandard KfW 40+, sowie Verschattungsstudien, die anders als die bisher vorgelegten auch die tief stehende Wintersonne mit einrechnen. Unabhängig und genauer untersucht werden sollten außerdem Lärm- und Luftbelastung sowie die nächtliche Lichtverschmutzung und ihre Auswirkungen auf die schützenswerte Fauna und Flora am Auer Mühlbach.

Probleme am Wohnungsmarkt könnten verschärft werden

Während die entsprechenden Anträge fast oder komplett einstimmig angenommen wurden, zeigten sich nicht alle Anwesenden überzeugt vom Begehren, das bestehende, aus den 1970er-Jahren stammende Ärztehaus als Baudenkmal zu schützen. Der Antrag, das zuständige Landesamt einzuschalten, ging mit 20 zu 19 Stimmen nur knapp durch. Mehrheitlich, aber nicht restlos überzeugt zeigte sich die Versammlung auch von der Forderung der Gegner-Initiative "Candidplatz für Alle", wonach die Investoren sämtliche Zahlen zu Kaufpreis, Finanzierung und Renditeprognose offenlegen sollten.

Dass sie sich mit der Büronutzung nicht nur verkalkulieren, sondern nebenbei auch die Probleme am Wohnungsmarkt verschärfen könnten, rechnete Georg Renoth vor. Selbst einst zehn Jahre lang in höherer Position im Planungsreferat tätig, ging Renoth mit dem Projekt ebenso scharf ins Gericht, wie mit der - allerdings üblichen - Beauftragung und Bezahlung von Gutachtern durch den Investor. Demonstrativ nicht in dessen Boot steigen wollen unterdessen die organisierten Tor-Gegner. Ihr Sprecher Benjamin Ruß berichtete, Planer Michael Ehret habe ihn kürzlich "auf ein Bier oder einen Kaffee" zum persönlichen Gespräch eingeladen - und sei abgeblitzt. Es gebe widerstreitende Interessen und man wolle auf offener Bühne entscheiden, wer sich durchsetzt, so Ruß, die "Methode Hinterzimmer" habe ausgedient.

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