Süddeutsche Zeitung

Konzertbericht:An der kulturellen Front

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Die ukrainischen Bands "Somali Yacht Club" und "Stoned Jesus" spielen im Feierwerk - und verstehen ihren Auftritt als Einsatz für ihr Land: "Weil es zurzeit wichtig ist, der Welt zu zeigen, dass die Ukraine eine eigene Kultur hat."

Von Dirk Wagner, München

Durchsichtig wie die Wahlurnen, in die Ukrainer von russischen Soldaten flankiert jüngst ihre sogenannten Stimmzettel für einen Anschluss an Russland werfen mussten, ist die Spendenbox im Feierwerk. Sie thront voller Geldscheine zwischen T-Shirts und Tonträgern, die die ukrainischen Bands Somali Yacht Club und Stoned Jesus an ihrem gemeinsamen Konzertabend im Feierwerk feilbieten. "Im März mussten wir unsere gesamte Tournee wegen der russischen Invasion absagen. Männer durften damals das Land nicht verlassen, weil sie im Bedarfsfall zur Armee hätten gehen müssen", sagt Igor Sidorenk, der Sänger und Gitarrist von Stoned Jesus in einem Gespräch vor seinem Auftritt. Immerhin habe er noch einige Solo-Konzerte innerhalb der Ukraine spielen können, fügt er hinzu. Solche Kulturangebote seien dort allerdings stets von der Möglichkeit eines Angriffs überschattet. "Dann erklingen plötzlich die Sirenen, oder wir bekommen eine Warnung aufs Handy", sagt Sidorenk. "Und dann muss du dich sofort in Sicherheit begeben. Mein Freund, der Stand-up-Comedian Anton Tymoshenko, hat darum auch schon mal die letzten 20 Minuten seines Programms in einem Keller gespielt."

Mittlerweile hat der ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkachenko aber den Künstlern auch das Recht eingeräumt, die ukrainische Kultur im Ausland zu repräsentieren. "Weil es zurzeit wichtig ist, der Welt zu zeigen, dass die Ukraine eine eigene Kultur hat, die eben nicht Teil einer russischen Kultur ist", erklärt der Sänger von Stoned Jesus. So eine eigene kulturelle Identität sei wichtig, um endlich auch jene imperialistische Vorstellung abzuschütteln, wonach die Ukraine nur eine russische Kolonie sei. Dabei habe es ihm eigentlich immer geschmeichelt, dass viele seiner Fans laut den entsprechenden Kommentaren im Internet gar nicht wussten, dass Stoned Jesus eine ukrainische Rockband ist. "Das zeigt doch nur, dass unsere Musik wichtiger ist als unsere Herkunft", sagt Sidorenk. Doch der russische Einmarsch in die Ukraine hat auch ihn in einen Soldaten verwandelt. Kein Soldat zwar, der auf dem eigentlichen Schlachtfeld kämpft - vom Wehrdienst ist der Sänger und Gitarrist aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen -, aber einer, der sich an der kulturellen Front, wie er es nennt, für sein Land einsetzt. Immerhin sammelt er auf seiner Tournee nicht nur Geld zur Unterstützung der Ukraine. Er betont auch stets die Notwendigkeit solcher Unterstützung, sei es während seiner Auftritte oder sei es in Interviews, die vor dem Krieg eigentlich nur seine Musik thematisiert hatten.

Kriegsgegnern, die mitunter auch infrage stellen, ob denn die ukrainische Bevölkerung überhaupt den Krieg wolle, entgegnet der Sänger von Stoned Jesus: "Das ist keine Frage des Wollens. Wenn dich jemand mit einer Waffe attackiert, musst du dich verteidigen. Wobei wir nicht nur uns selbst verteidigen. Wer zurzeit die Ukraine verteidigt, verteidigt auch Europa, verteidigt die gesamte demokratische Welt. Denn was würde geschehen, wenn Putin damit durchkäme? Er würde weitermachen, und andere Diktatoren würden seinem Beispiel folgen."

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