Süddeutsche Zeitung

Demos in München:Ein Wochenende, 22 Proteste

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So viele Demonstrationen waren beim KVR angemeldet - von der DKP bis hin zu den Kritikern der Corona-Politik.

Von Bernd Kastner

Die große Narretei fällt aus, aber man kann das abgesagte Faschingswochenende auch anderweitig verbringen. Die einen steigen ins Wasser zum Eisbaden, die anderen gehen oder fahren zum Demonstrieren. 22 Versammlungen waren beim Kreisverwaltungsreferat für Samstag und Sonntag angemeldet: Der DKP beispielsweise ging es um die Bundestagswahl, der Verein Isarlust veranstaltete "Kulturlieferdienste", andere wollten für Klimaschutz demonstrieren oder für Julian Assange. Alles unter Corona-Bedingungen.

Für Sonntagabend waren noch eine Demo für Alexej Nawalny angekündigt und die größte Versammlung des Wochenendes: ein "Maskenball für Grundrechte", angemeldet mit 1000 Teilnehmern, gekommen sind laut Polizei um die 450. Es war eine der knapp zehn Aktionen, die sich gegen die Corona-Politik richteten.

Begonnen hatte das Demo-Wochenende am Freitagabend mit einem Protestkonvoi von Taxifahrern. Vom Fröttmaninger Stadion aus fuhren sie in die Innenstadt, vorbei an CSU-Zentrale, Staatskanzlei, Landtag und Rathaus. 150 Autos waren dabei, berichtet Organisator Zekai Karavas, Taxiunternehmer. Er nannte die Aktion "Stiller Alarm in der Taxibranche", das ist eine Anspielung auf den nur außen sichtbaren Alarm, wenn im Taxi Gefährliches passiert. Und so blinkten die gelb-schwarzen Schilder auf den Dächern, und an den politischen Hotspots wurde der stille Protest sehr laut, die Fahrer drückten die Hupe. Ihre Botschaft: In Zeiten ohne Messen und Nachtleben, ohne Hotelgäste und Fußballfans leide auch ihre Branche. Von der Stadt fordern die Taxler diese Hilfen: Mehr Ladeinfrastruktur für E-Autos, die Öffnung von Busspuren, und dass Taxis auch für Fahrten zu den Impfzentren eingesetzt werden.

Am Samstagnachmittag lässt sich vor dem Rathaus eine spezielle, coronamäßige Form der Liberalitas Bavariae beobachten. Auf den Marienplatz haben Kritiker der Corona-Politik zur Kundgebung geladen, sie rufen immer wieder zu ihren "Freiheitsversammlungen" auf. Seit Wochen gilt bekanntlich eine Maskenpflicht in der Fußgängerzone, und bei einer Demo erst recht. Die meisten der Demonstranten halten sich daran, aber eben nicht alle.

Die einen stehen kurz vor Versammlungsbeginn am Rathaus in der Sonne und lassen sich das unbedeckte Gesicht wärmen. Andere stehen später maskenfrei in der Demo-Zone. Einer filmt, er trägt Aluhut, gewöhnlich das Erkennungszeichen derer, die nicht jeder Verschwörungstheorie abgeneigt sind. Vielleicht, weil er glaubt, dass allein so ein Silberhut ihn und seine Mitmenschen vor Viren schützt, verzichtet der Mann auf die Maske. Oder hat er ein ärztliches Attest?

Die Polizei schaut zu. Sie ist mit sechs Beamten vertreten, zwei Streifenwagen sind geparkt am Rande des Platzes. Die Polizisten beobachten, wenn sie nicht gerade mit dem Smartphone beschäftigt sind, aus dem warmen Wagen heraus die Kundgebung. Am Ende vermeldet die Pressestelle genau einen "Maskenverstoß", kommentiert den Einsatz aber nicht.

Die Versammlung selbst verläuft ruhig, etwa 50 Teilnehmer sind gekommen. Sie fordern: "Dieser Wahnsinn muss enden!" Sie schreiben auf Flugblättern, dass sie sich "klar gegen nationalsozialistisches, rassistisches, faschistisches und antisemitisches Gedankengut" abgrenzten.

Zugleich suggerieren sie, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, sonst müssten sie ja nicht fordern, dass sie es "in vollem Umfang zurück" haben wollten. Am Mikro steht ein Mann mit Indianer-Schmuck. "Ich bin stinkend sauer!", ruft er und verhaspelt sich, als er Pippi Langstrumpf zitiert, die macht, was ihr gefällt.

Am Sonntag holt die Polizei, so berichtet sie später, bei einer weiteren Corona-Kundgebung einen notorischen Maskenverweigerer von der Bühne und führt ihn ab - es ist ein pensionierter Polizist. Abends ist auf der Theresienwiese, zumindest in den ersten eineinhalb Stunden, von Strenge kaum was zu spüren. Auf der Bühne nennt einer jene, die die Regeln aufstellen, "Idioten". In der Menge ignorieren viele die Maskenpflicht - die Polizei toleriert es. Einer verteilt Kuchen an Demonstranten, auch er ohne Maske - die Polizei lässt es zu.

Trotz dieser Nachsicht lautet die Bilanz am Sonntagabend für alle Aktionen in Sachen Corona: 33 Anzeigen gegen Maskenverweigerer, sechs Anzeigen wegen falscher Gesundheitszeugnisse.

Am Samstag hat die Stadt nicht allein den vermeintlichen Freiheitskämpfern gehört, auch andere Gruppen stehen in der Kälte. In der Sendlinger Straße protestieren Kurden für die Freilassung ihres Anführers Abdullah Öcalan. Fahnen wehen im Wind. "Schluss mit dem Krieg in Kurdistan", ruft ein Redner, und dass Deutschland die türkische Regierung nicht länger unterstützen solle.

Vor der Feldherrnhalle hat sich eine Gruppe von Exil-Iranern das Fleckchen gesucht, auf das die Sonne scheint. Sie protestieren gegen das Regime in Teheran. Am Stachus stehen unter einem kleinen Zeltdach Menschen, die versprechen: "Man kann immer etwas tun." Sie werben für Scientology, und die meisten Passanten in der fast leeren Fußgängerzone wissen, was man auch immer tun kann: einfach weitergehen.

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SZ vom 15.02.2021
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