Süddeutsche Zeitung

Prozess in München:Der Arzt und das Attest

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Ein 47-Jähriger steht vor Gericht, weil er sich ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht ausstellen ließ - ohne, so der Vorwurf, den Arzt überhaupt aufgesucht zu haben.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

Thomas L. lamentiert vor sich hin, dass der Staat ihn so verfolge, dass er beschimpft werde und dass auch noch der Arbeitgeber ein Attest mit Diagnose verlange. Und das alles nur wegen einer Maske. Thomas L. steht vor dem Münchner Amtsgericht. Ihm wird der "Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse" vorgeworfen. Ein Tatbestand, der bis dato äußerst selten in den Sitzungslisten auftauchte, was sich mit Fortdauer der Corona-Pandemie nun ändert.

Thomas L. soll bei einer Anti-Corona-Demo ohne Maske aufgetreten sein und danach bei der Polizei das Attest eines Arztes vorgelegt haben, "bei dem Sie nie persönlich gewesen sind", sagt Staatsanwältin Nicole Gburek. Thomas L., ein großer, schlanker Mann mit grauem, langen Haar, erscheint vor Gericht mit einem Plastikvisier vor dem Gesicht. Er sagt, dass er aufgrund einer Erkrankung im nasalen Bereich keine Maske tragen könne. Man könne die Beschwerden nur operativ beheben, das wolle er aber nicht, er befinde sich deshalb in heilpraktischer Behandlung.

Der 47-Jährige nahm im September vergangenen Jahres auf der Theresienwiese an einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen teil, und trug dabei entgegen der Vorgaben keine Schutzmaske. So steht es im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, den L. nicht akzeptierte. Als die Polizei ihn darauf ansprach, konnte er kein Attest zur Befreiung der Maskenpflicht vorzeigen. Die Polizisten forderten ihn auf, eine Maske zu tragen oder das Gelände zu verlassen.

Vor Gericht erzählt L., dass er noch auf der Theresienwiese einen Arzt anrief, der sich "in der Nähe befand", nämlich Josef D. Der habe der Polizei versichert, dass L. im Besitz eines Attestes sei, dieses aber heute nicht dabei habe. Trotzdem hätten die Polizisten darauf bestanden, dass er entweder eine Maske tragen oder die Versammlung verlassen müsse - weshalb L. die Beamten wegen Nötigung angezeigt habe. Im Dezember übersandte Thomas L. der Polizei ein entsprechendes Attest, ausgestellt von Josef D. am 29. Juni. "Da war ich bei ihm in der Praxis", behauptet L. Ob sich zu dem Zeitpunkt noch andere Leute in der Praxis befunden hätten, will Richter Sebastian Schmitt wissen. "Nein", sagt L., er sei ja am Abend nach Praxisschluss dort gewesen. Und warum er ihm als Privatpatient keine Rechnung ausgestellt hätte, könne er auch nicht sagen. Die Frage, woher er denn den Arzt Josef D. kenne, will L. trotz mehrmaliger Nachfragen nicht beantworten.

Der Arzt Josef D. ist seit einigen Monaten ins Visier der Polizei geraten. Er tritt bei Anti-Corona-Demonstrationen auf, tut dort kund, dass Corona ein Virus wie jedes andere sei, dass es "spektakuläre Einzelfälle" gebe, aber die wenigsten Menschen an einer akuten Infektion sterben würden. Bei Kontrollen stellte die Polizei fest, dass zahlreiche Menschen ohne Maske ein Attest mit dem Praxisstempel von Josef D. vorlegten. Im Februar durchsuchte die Polizei seine Praxis, da der Verdacht besteht, dass D. Atteste ausstellt, ohne die Patienten überhaupt gesehen zu haben.

"Wir haben in der Praxis an mehreren Stellen Blanko-Vordrucke für diese Atteste gefunden", erzählt ein Kriminalkommissar vor Gericht. Ebenso Vordrucke für eine eidesstattliche Versicherung mit dem Wortlaut: "Ich habe ein Attest und will es nicht vorzeigen." Die Arzthelferinnen hätten ausgesagt, dass Menschen ohne Termin in der Praxis auftauchen und im Zimmer von Josef D. verschwinden würden. Oder sie würden anrufen und ohne Angaben von Gründen einen Termin verlangen. Der Kriminalkommissar erzählt weiter, dass an die 60 Verfahren wegen dieser Atteste alleine gegen Josef D. liefen.

In einigen Fällen hätte man keine Patientenunterlagen zu den Attestempfängern gefunden. Auch Thomas L. habe sich nicht in der Patientendatei von Josef D. befunden. Zudem sei man immer noch mit der Auswertung von 37 000 E-Mails beschäftigt. Thomas L. sagt, dass es für ihn kein Spaß sei, "dass ich beschimpft werde, wenn ich wo ohne Maske reingehe". Er sei Lehrer, unterrichte auch ohne Maske, und nun verlange sein Arbeitgeber ein Attest mit Diagnose, "das will ich nicht".

Richter Sebastian Schmitt erklärt, dass Josef D. kurzfristig für den Gerichtstermin geladen wurde, es ihm aber auf die Schnelle nicht möglich gewesen sei, vor Gericht zu erscheinen. Man könne nun einen neuen Termin vereinbaren, die Auswertung der E-Mails abwarten und den Arzt laden. Oder man könne das Verfahren gegen Geldauflage einstellen. Am Ende willigt Thomas L. ein, zahlt 350 Euro an einen gemeinnützigen Verein. Und Staatsanwältin Nicole Gburek gibt ihm noch "einen guten Rat" mit auf den Weg: "Vielleicht organisieren Sie sich noch ein Attest von einem anderen Arzt."

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