Süddeutsche Zeitung

Freizeit während Corona:Das Leben ist ein Käsebrot

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Jegliche sinnliche Spannung ist aus der Stadt gewichen. Die Münchner sind alle zu desinfizierten, schlecht gelaunten Stoßdämpfern mutiert - fast alle.

Glosse von Christiane Lutz

Kürzlich postete eine Bekannte auf Instagram ein Foto von sich in einem schwarzen Jumpsuit, vorn noch weiter ausgeschnitten als hinten. Man sah sie schon damit die Goldene Bar durchschreiten, in Zeitlupe. Steht ihr hervorragend. Den Jumpsuit trage sie jetzt zuhause, schrieb sie, wo auch sonst. Eine andere Bekannte hat aus Kummer über ihre monatelange Club-Abstinenz den Käsebrot-Tanz entwickelt. Wenn sie Musik hört, tanzt sie durchs Wohnzimmer - mit Käsebrot in der Hand. Ist ja eh keiner da zum Antanzen. So tapfer, so vernünftig, so tragisch.

Aus dieser Stadt ist jegliche sinnliche Spannung gewichen. Jeder letzte Funke Flirt ist futsch, sogar die freundliche Gemüsefrau, die wenigstens immer so nett das Outfit lobte, ist verstummt. Smarte Konversation perlt am Plexiglas ab. Die Münchner sind zu desinfizierten, schlecht gelaunten Stoßdämpfern mutiert. Von oben bis unten eingewickelt und wattiert irren sie durch die ewige Finsternis. Das letzte, was man an ihnen noch sieht, sind die Augen.

Es sei denn, der andere trägt Brille, die arme Wurst, dann sieht man überhaupt nichts mehr. Begegnungen sind zu reinen Zweck-Kontakten verkommen, von herzlichem gegenseitigen Misstrauen geprägt. Zu tindern trauen sich viele Singles schon gar nicht mehr. Was, wenn das Match schlampig mit den AHA-Regeln umgeht? Zufälliges Anrempeln auf der Straße oder in der klebrigen Kneipe, da flirrt die Luft kurz, man lacht und geht glücklich seines Weges, diese nette Unterbrechung im Alltag, die gibt es schon lang nicht mehr.

Manche glauben ja, die Leute shoppten wie bekloppt, weil sie ihren Liebsten nach diesem harten Jahr doch die sauteuren Joggingschuhe für ihr neues Hobby schenken wollen. Das ist so rührend wie falsch. Die Menschen shoppen wie bekloppt, weil sie die Unsinnlichkeit der Zeit kompensieren müssen. Wegen dieses kleinen Glücksgefühls, wenn sie rechtzeitig auf "bestellen" klicken, wo "nur noch 1x in deiner Größe verfügbar" steht. Von irgendwas muss man ja leben.

Immerhin: Die Kleinkinder sind noch nicht gebrochen. Also die, die schon gucken können, aber noch herumgeschoben werden müssen. Beim Bäcker, kurz vor Ladenschluss, trifft man auf eins in der Schlange. Das ringt sich ein Grinsen ab, nachdem man nur weit genug die Augen aufgerissen hat. Der Vater bemerkt es und fragt sein Kind irritiert: "Was lachst du denn diese Frau so an?" Keine Sorge, vermutlich lacht es sie nur aus.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2020
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