Süddeutsche Zeitung

Kultur in München:Eine laute Demo gegen das leise Sterben

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Mit einer Krachparade machen am Freitagabend 500 Demonstranten in der Innenstadt auf die existenzielle Not von Clubs und Bars aufmerksam.

Von Cora Wucherer

Einen Aluhut trägt hier niemand. Dafür ist einer mit einer Discokugel auf dem Kopf unterwegs - und die meisten mit Maske. Wenn der junge Mann, dessen Kopfbedeckung über und über mit glitzernden Steinchen beklebt ist, die Arme ausbreitet und sich im Takt der Techno-Beats dreht, berührt er niemanden. "Abstand halten, weiter raven", tönt es aus den Lautsprechern, die Menschen mit sich tragen.

Der Mann mit dem Discokugel-Hut ist einer von circa 500 Menschen, die sich am Freitagabend der sogenannten "Krachparade" angeschlossen haben, um auf die bedrohliche wirtschaftliche Lage von Clubs und Bars wegen der Corona-Krise aufmerksam zu machen. Die Tanzdemo führt vom Geschwister-Scholl-Platz bis zur Theresienwiese, auf der um 21 Uhr die Abschlusskundgebung stattfindet. Organisiert wird die laute Demonstration von der Initiative "Mehr Lärm für München". "München ist in der Krise, München ist krank, München liegt im Sterben", sagt Sprecher Thomas Suren angesichts der geschlossenen Clubs und Bars. "Wenn wir jetzt nicht handeln, beginnt das kulturelle Sterben."

Deshalb fordert die Initiative drei Dinge: Mietreduktion auf Null für geschlossene Clubs und Kulturstätten, die Möglichkeit von öffentlichen Parties unter Hygieneauflagen und Freiluft-Raves. Der Veranstalter betont, die Pandemie ernst zu nehmen. Konstant wird drauf hingewiesen, Abstand zu halten und Masken zu tragen. Kreative Abstandshalter aus Draht und Stoff sieht man genauso wie Glitzer in Gesichtern - die Stimmung ist ausgelassen.

Der Demonstrationszug, der um 18 Uhr begonnen hat, läuft langsam über den Lenbachplatz Richtung Theresienwiese. Fünf Techno-Kollektive mit eigenen kleinen Wägen haben sich angeschlossen und beschallen die Demonstration. Laut Polizei verlief die Demo friedlich und ohne Zwischenfälle, es kam lediglich zu geringen Verkehrsbehinderungen. Die Abstandsregeln wurden eingehalten.

Der Ursprung der Initiative "Mehr Lärm für München" geht auf die Schließung der alten "Schwabinger Sieben" im Jahr 2011 zurück. Seitdem protestieren sie für mehr Lärm und gegen die "Stilllegung kultureller Freiräume durch Luxussanierungen". Nun jedoch hat die Initiative einen noch mächtigeren Gegner als die Gentrifizierung: die Pandemie. "Der Lärm ist mehr denn je vom Aussterben bedroht", mahnt Veranstalter Florian Raabe.

Als der Demonstrationszug an der leeren Theresienwiese eintrifft, ist es 20.30 Uhr. Eine dünne Mondsichel zeigt sich am blassen Abendhimmel, eine Lichtinstallation verkündet leuchtend "Rave on". 500 Menschen tanzen für das Überleben der Münchner Clubs. Nach der Kundgebung kehren die tanzenden Demonstranten langsam nach Hause zurück oder ziehen weiter. Es wird wieder still in der Stadt. Die Frage bleibt: Für wie lange?

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