Süddeutsche Zeitung

Jubiläumsschau im Feierwerk:Kunst, die das Leben feiert

Lesezeit: 3 min

Mit eigenen Collagen, Skulpturen und Fotoprojekten, mit Graffiti und Poesie gratulieren die Klienten dem Sucht- und Jugendhilfeträger Condrobs zum 50-jährigen Bestehen. "Vom Leben gezeichnet" heißt die Ausstellung.

Von Ulrike Steinbacher

Normalerweise lernt man mit Lückentexten Vokabeln und Grammatik, die Konjugation von "vivre" oder "sentire" vielleicht, ich lebe, du lebst, wir fühlen, ihr fühlt... Aber auch das Leben selbst passt in Lückentexte, das liest sich dann so: "Die Eifersucht ist fahl wie Knochen/ Sie schmeckt nach Asche,/ riecht nach Galle./ Sie fühlt sich blutleer an,/ sieht aus wie arme Ratten./ Sie hört sich an wie Brunnenschächte./ Die Eifersucht ist ausgestopft mit Tränen." Oder so: "Ohnmacht ist allumfassend wie die Unendlichkeit/ Sie schmeckt bitter/ und riecht nach faulem Laub./ Sie fühlt sich mächtig an/ und sieht aus wie dichter Nebel./ Still hört sie sich an wie die Ruhe vor/ dem Sturm. Sie ist unberechenbar."

Die Texte gehören gemeinsam mit einer Vielzahl künstlerischer Arbeiten der verschiedensten Richtungen zu einer Ausstellung, die nach der Vernissage an diesem Mittwoch von Donnerstag an im Feierwerk zu sehen ist. Sie ist Teil des Jubiläumsprogramms, mit dem der Sucht- und Jugendhilfeträger Condrobs sein 50-jähriges Bestehen feiert. "KunstWege - vom Leben gezeichnet" lautet der Titel.

Das Leben haben Karl Heinz Dohmen und seine Kollegen dann auch in den Mittelpunkt ihres Ausstellungsbeitrags gestellt - genauer gesagt ein großes "L" und darunter ein kleines "eben", die das Zentrum eines Patchwork-Teppichs voller bunter Szenen bilden. "Leben eben", sagt Künstler und Workshop-Leiter Dohmen, der selbst Condrobs-Klient ist und mit der Arbeit "all den Sachen, die eigentlich dramatisch sind, eine gewisse Leichtigkeit abgewinnen" will.

Eine solche Leichtigkeit hat auch das Kunstprojekt selbst entwickelt, obwohl darin zwei Jahre Vorbereitung samt Corona-Einschränkungen und ungeheuer viel Organisationsarbeit stecken. Die Fäden liefen bei Emilie Gendron und Gerhard Schützinger zusammen. Sie kümmerten sich um die Finanzierung - den größten Teil übernimmt die Aktion Mensch -, um die 25 Workshops zu Fotografie, Collage, Skulptur, Malerei, Street-Art und anderen Genres in verschiedenen Condrobs-Einrichtungen in ganz Bayern und um die jeweilige künstlerische Leitung, sie erarbeiteten den umfangreichen, liebevoll gestalteten Katalog und die Ausstellung selbst. "Es war eine riesige Zusammenarbeit", sagt Gendron. "Alle wollten mitmachen."

Das gilt gerade für die Condrobs-Klienten. Viele von ihnen tun sich eigentlich schwer, sich länger für eine Sache zu engagieren, viele zögern, in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Aber in der Suchtfachstelle Pedro in Neuperlach, die nach drei langen Übergangsjahren bald neue Räume bezieht, setzten die Workshop-Teilnehmer unter dem Titel "Raumaneignung" tagelang geduldig aus einzelnen bemalten Leinwänden Motive mit Bezug zum neuen Standort zusammen. Und das Projekt des Stadttheaters Ingolstadt, das eigentlich zwei Monate lang einen schützenden Rahmen für kreative Arbeit bieten wollte, mündete schließlich in zwei Auftritte in der dortigen Fußgängerzone - auf Initiative der Teilnehmer.

"Ich hatte den Gedanken, du musst nicht perfekt sein, es passt so, wie es ist", erzählt Raimonda. "Und ich merke, das tut mir gut." Die 45-Jährige war beim Mal-Workshop in der therapeutischen Frauen-Wohngemeinschaft Prima Donna in Obersendling dabei, Titel "Individualität". Anfangs sei sie skeptisch gewesen, unsicher, doch dann sei sie ganz in der Malerei aufgegangen. Und ihre Nachbarin, die anonym bleiben möchte, ergänzt: "Der Druck ist weggegangen. Da hab ich mich frei gefühlt."

Gefallen hat die Arbeit aber auch den Workshop-Leitern. "Ich habe gemerkt, dass ich einen Mehrwert liefern konnte", sagt Johannes Brechter. Er macht eigentlich Graffiti, hat aber mit jungen Leuten aus der sozialtherapeutischen Wohngemeinschaft Inizio in Johanneskirchen für die Ausstellung mit Holz gearbeitet, Formen zugeschnitten, bemalt und zu eigenwilligen Skulpturen zusammengefügt. "Erst habe ich befürchtet, dass das altbacken ist, so werkunterrichtmäßig", erzählt er. Die zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien aber "super aufgeschlossen und engagiert" gewesen.

Brechter ist einer von sechs Workshop-Leitern, alle professionelle Street-Art-Künstler, die der Schirmherr des Projekts mitgebracht hat: Aktionskünstler Wolfgang Flatz - derzeit auch in den Medien wegen seiner Auseinandersetzung mit Bau- und Immobilienunternehmer Urs Brunner um ein Atelier auf der Praterinsel. Flatz hatte Condrobs zum 40. Geburtstag ein Kunstwerk geschenkt, die Brücke. Sie ist im Logo des sozialen Hilfeträgers zu sehen. Diesmal wollte der 69-Jährige mit seiner Schirmherrschaft "der nächsten Künstler-Generation die Tür öffnen".

Zu ihr zählt Lapiz, der ein Graffito über die Freiheit an eine Hüttenwand im Garten des Condrobs-Integrationsprojekts an der Kistlerhofstraße in Obersendling gesprüht hat. Und unter der Regie von Matthias Mross entstand im Integrationsprojekt in Eglharting (Landkreis Ebersberg) ein Gemeinschaftswerk zum Thema "Vergangenheit": das aus einzelnen bemalten Leinwänden zusammengesetzte Bild eines überquellenden Aschenbechers.

"Man kann eigentlich aus fast allem Kunst machen", resümiert eine 27-Jährige, die an der Schreibwerkstatt "Innere Landkarten" bei Pedro teilgenommen hat und ihren Namen nicht nennen möchte. Sie hat einen der Lückentexte beigesteuert: "Sünde ist rot wie Liebe/ Sünde schmeckt nach Blut/ und riecht nach Rosen/ Sünde fühlt sich leicht & gleichzeitig schwer an - zerrissen./ und sieht aus wie ein Engel/ doch hört sich an wie der Teufel/ Sünde ist bittersüß".

"KunstWege - vom Leben gezeichnet", Farbenladen im Feierwerk, Hansastraße 31, Vernissage am Mittwoch, 6. Juli, 18 Uhr, Eröffnung am Donnerstag, 7. Juli, 17 Uhr, zu sehen bis 27. Juli. Programm unter www.condrobs.de/kunstwege . Festakt und Fachtagung zu sozialer Arbeit, Kranhalle im Feierwerk, 7. Juli, 10.30 bis 18 Uhr.

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