Süddeutsche Zeitung

Büchergalerie Westend:Neuanfang nach 35 Jahren

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Die "Büchergalerie Westend" ist umgezogen. Das Mietshaus, in dem der alte Laden lag, wird abgerissen

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

",Achtsam morden' ist der Titel - geht das denn?", fragt die Dame mit dem weißen Kurzhaarschnitt und zieht unsicher die Augenbrauen über der Maske hoch. Inge Kindermann nickt belustigt: "Ist ganz amüsant". Die Buchhändlerin reicht der Dame den Krimi aus einem der Drehständer vor dem großen Schaufenster, nachdem diese einen Platz für ihr Glas Eröffnungssekt ausfindig gemacht hat auf dem großen Tisch mit den aufgetürmten Neuerscheinungen. Eine knappe Stunde, nachdem Inge Kindermann ihren neuen Laden an der Kazmairstraße 77 erstmals aufgeschlossen hat, verkauft sie der Stammkundin bereits das erste Buch. Die Nachbarn sind ihr treu.

1400 Unterschriften haben sie gesammelt, damit Kindermann ein halbes Jahr länger in ihrem Geschäft an der Ligsalzstraße 25 bleiben durfte. Dort verkaufte sie seit knapp 35 Jahren Lesestoff, ihre "Büchergalerie Westend" ist mittlerweile die einzige unabhängige Buchhandlung im Viertel. Den Laden wollte die Erzdiözese München-Freising als Hauseigentümerin eigentlich schon Ende Juni schließen lassen, obwohl noch nicht einmal Baupläne, geschweige denn ein Abrisstermin für das Kircheneigentum feststand. Nach öffentlichem Druck lenkte das Erzbischöfliche Ordinariat ein, verlängerte Kindermanns Ausziehfrist und reichte kürzlich bei der Lokalbaukommission erste Pläne für ein neues "Mehrparteienhaus" ein. Von den ehemals elf Wohnungen in der 130 Jahre alten Immobilie sind noch fünf belegt, eine von der Buchhändlerin selbst.

Der Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe hat sich bereits über die Neubaupläne des Ordinariats gebeugt. "Vom Baulichen her kann man nix dagegen sagen", befand Willy Mundigl (SPD) als Vorsitzender des Bau-Ressorts. "Von den anderen Sachen haben wir ja schon in der Vergangenheit gesprochen." Mundigl, der auch stellvertretender Vorsitzender im Mieterbeirat München ist, spielte auf seinen Besuch im Gebäude an, der schon Monate zurückliegt. Akribisch inspizierte er es und attestierte dem gelben Block für sein hohes Alter einen "sehr guten Zustand". Öffentlich hatte der SPD-Politiker bei der Gelegenheit die Argumentation des Ordinariats in Abrede gestellt, dass die Immobilie so marode sei, dass sie nicht mehr saniert werden könne und zügig abgerissen werden müsse. Mundigls Einschätzung folgten Bezirksausschuss und etliche Anwohner. Als Angebot zur Güte offerierten die Kirchenvertreter den Ligsalz-25-Bewohnern, mit Hilfe von Maklern eine alternative Bleibe zu gleichen Konditionen zu suchen, samt Rückkehrrecht, sobald der Neubau steht.

Die Suche zieht sich - natürlich. Eine Sprecherin des Erzbischöflichen Ordinariats verweist darauf, dass man zwar das ein oder andere habe auftun können, "leider haben die Mieter vielfach abgesagt. Viele von ihnen wollen in unmittelbarer Umgebung ihrer bisherigen Wohnung im Westend bleiben." 1200 Euro Warmmiete für 45 Quadratmeter, sagt Inge Kindermann, seien halt nicht verlockend. "Die Stimmung im Haus ist bedrückend."

Ganz anders lief's mit ihrem neuen Laden, an den sie letztlich über die Nachbarschaft gekommen ist. Statt bisher 30 stehen ihr zwar nurmehr 25 Quadratmeter zur Verfügung, die antiquarischen Bücher müsse sie nun anderswo unterbringen. Aber hell und einladend ist es im Eckladen im Rücken der mächtigen St. Rupert-Kirche. Bei der Aufregung um den Laden hätte Inge Kindermann gut und gerne auf die zusätzlichen Herausforderungen durch Corona verzichten können. Sie wusste sich zu helfen: Bestellungen werden per Rad persönlich bei den Kunden an die Haustür geliefert. "Fürs Weihnachtsgeschäft öffnen wir das kleine Fenster zur Straße, weil in den Laden ja nicht mehr als zwei Kunden passen." Und die Stammkunden haben sie auch nicht im Stich gelassen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2020
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