Süddeutsche Zeitung

Bahnwärter Thiel:Crowdfunding soll Atelierpark retten

Lesezeit: 2 min

Aus ein paar alten Übersee-Containern und einer ausrangierten Trambahn will Daniel Hahn im Alten Viehhof ein Dorf für Kreative machen. Doch dafür braucht er Geld.

Von Michael Zirnstein, München

Daniel Hahns Leben ist nicht eine Baustelle, es sind immer mehrere Baustellen gleichzeitig. Um etwa ausgediente Flughafen-Baukörper - wie lange erhofft - zu einer "Terminal-Galerie" aufstellen zu dürfen, fordert die zuständige Staatsbehörde nun vom ihm, das gewünschte Gelände in Freimann zu vermessen und ein Statik-Gutachten anzufertigen. Das wird wieder eine Stange Geld kosten, er will es dennoch machen.

Auch in seinem Hauptquartier, dem Bahnwärter Thiel auf dem Alten Viehhof, ist längst nicht alles bezugsfertig. Morgens, wenn alle Feiergäste den Biergarten des alternativen Kulturzentrums verlassen haben, läuft der Hausherr schon zwischen jeder Menge Material, Kunst und Krempel umher und schaut nach dem Rechten, etwa, ob da ein Arbeiter auf der Suche nach einem Brett gerade eine kostbare Siebdruckplatte zersägt. "Nein, passt schon", sagt er, und schaut weiter.

Derzeit macht Hahn sogar Baustellenführungen. Das liegt daran, dass im Bahnwärter bald Mieter einziehen sollen - wie es von Anfang an geplant war und es sich dann doch hinauszögerte. Denn die Übersee-Container, die hier aufgetürmt sind und die zunächst nur als Schallschutz und Umfriedung dienten, sowie eine ausrangierte Trambahn sollen als Ateliers und Band-Probenräume genutzt werden. Häufig schauen nun Bewerber vorbei, um sich die geeignetsten Kammern auszusuchen und Hahns Team davon zu überzeugen, dass sie selbst dafür geeignet sind. Wie immer hat Hahn eine klare Vision für den "Atelierpark": Es solle eine "Stadt in der Stadt" werden, ein Dorf für Kreative, für sein Team, befreundete Künstler und alle, die "auf Augenhöhe" dazu passen.

Schon bei seinen Anfängen als Kulturschaffender im Pathos Transport Theater inspirierte ihn dort die eigene Atelier-Gemeinschaft, die er mitverwaltete. Kreativorte, das weiß er seitdem, sind rar und teuer, die Stadt jedenfalls kommt mit subventionierten Räumen kaum nach. Also stemmt er es privat, will 200 Künstlern, Handwerkern und Musikern Platz bieten, man werde sich Küche, Toiletten und Werkstatt teilen, so dass die gemietete Arbeitsfläche komplett dem eigenen Schaffen zur Verfügung stehe - so sind schon 14 Quadratmeter viel. Die Miete werde "individuell im Gespräch ausgehandelt", es soll bei etwa 90 Euro im Monat starten, größere, hellere oder beliebtere Ateliers, die etwa ebenerdig auch gut als Schau- und Verkaufsraum genutzt werden können, kosten mehr.

Er und die Projekt-Betreuerin Aranka Haller wollen keine Einkommensnachweise sehen und keine Referenzen, man wolle einfach schauen, dass die Mischung aus Haupt- und Nebenberuflern und das Miteinander passen. Ein paar Töpfer, Maler, Musiker und eine kreative Müttergruppe sind schon da. Es fehlen: Anstrich und Fenster. Und etwa 6000 Euro. Was auch an den wegen Corona ausgeblieben Einnahmen der Gastronomie liegt, mit denen Hahn die Lücken im Atelierprojekt stopfen wollte. Fundamente gießen, Treppen bis in den dritten Stock bauen, Leitungen, Lärm- und Wärmedämmung, das alles habe "extrem viel gekostet", umgelegt zwischen 10 000 und 25 000 Euro für jeden der 60 Container. Die wieder hereinzuholen ist ohnehin illusorisch, da der Bahnwärter nur bis Ende 2022 Bleiberecht in seiner Viehhof-Oase hat.

Wegen Corona hätte Hahn das Vorhaben fast aufgegeben, aber durch ein Crowdfunding auf Startnext bis Sonntag, 9. August, will er es retten: Spender bekommen als Dankeschön ein Beet im Gemeinschaftsgarten, T-Shirts, exklusive Konzertkarten oder Tickets, die das Volkstheater gestiftet hat. Für 4000 Euro hat sogar schon ein Gönner eine Atelierpatenschaft übernommen, drei noch auszuwählende Künstler bleiben durch das Stipendium ein Jahr lang mietfrei. Ein Recht, selbst einzuziehen, kann man aber nicht kaufen.

Wer am Ende aber seinen Platz erhält, kann durch Aufstocken der Miete seinen Container auch leasen. Muss der Bahnwärter dann wirklich weichen, kann man sein Mobil-Atelier mitnehmen und andernorts aufstellen und vielleicht eine eigene Kolonie gründen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4992014
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.