Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Traumberuf Müllmann

Lesezeit: 2 min

Das Wirken der Männer und Frauen in Orange wird unterschätzt - ihre Arbeit ist viel wichtiger als die von Parfüm-Influencern oder Börsenspekulanten.

Glosse von Wolfgang Görl

Als Anfang Dezember eine XXL-Schneedecke die Stadt begrub, so als wollte sich der CO₂-geplagte Winter mit einer letzten Machtdemonstration für immer verabschieden, da waren nicht nur die S-Bahn, die Tram und die E-Scooter lahmgelegt, sondern auch die Müllabfuhr. Die Abfalltonnen quollen über, vor den Häusern wucherte der Unrat, und überhaupt herrschte auf dem Münchner Entsorgungssektor ein Stillstand, wie ihn sonst nur die Deutsche Bahn zustande bringt.

Bald war der Müllberg vor unserer Haustür zu einer unüberwindlichen Barriere angewachsen, doch just als die Vorräte im Kühlschrank zur Neige gingen, kamen die Retter: kräftige Männer in Orange, die vertraute Müllbrigade unseres Viertels. In kürzester Zeit war der Eingang frei, und die Brigade zog weiter zum nächsten Haus, wo sie erst mal eine Schar Krähen von der Abraumhalde vertreiben musste. Was für eine großartige Truppe - und zudem so multikulturell, dass Münchner AfD-Anhänger bei deren Anblick den Umzug nach Thüringen erwägen könnten.

Ist es nicht seltsam? Ohne die Müllabfuhr sähen selbst Bogenhauser Villenquartiere so verrottet aus wie das Festivalgelände nach dem Wacken Open Air, und doch klatscht den Müllmännern und den wenigen Müllfrauen kaum jemand Beifall. Wer den Müll wegräumt, ist in den Augen derer, die den Müll produzieren, ein Domestik, der seine Arbeit bitte geräuschlos und möglichst unsichtbar verrichten soll. Und danach abtreten, aber dalli! Gibt es Jungs, die davon träumen, Müllmann zu werden? Die sagen: Wenn ich groß bin, leere ich die Abfallcontainer aus, das wird cool? Und deren Lieblingsgedicht aus der Feder von Heinz Erhardt stammt, der einmal geschrieben hat: "Lasst uns von Tonne zu Tonne eilen, wir wollen dem Müll eine Abfuhr erteilen." Ein Zehnjähriger, der davon träumte, würde seinen Eltern den Schlaf rauben. Parfüm-Influencer oder Börsenspekulant - das sind zeitgemäße Traumberufe. Obwohl die Welt Müllmänner viel dringender bräuchte als Parfüm-Influencer und Börsenspekulanten.

Zum Schluss noch eine persönliche Bitte an unsere Müllbrigade: Dürfen wir all den Sorgenkram, der sich im vergangenen Jahr angesammelt hat, in die Mülltonne werfen? Das Entsetzen über Terror und Kriege, über die Klimakatastrophe, die Zerstörung der Natur und das Artensterben, über die Gefährdung der Demokratie und die Verächtlichmachung humanistischer Werte - könnte man das nicht alles entsorgen, sodass der Kopf wieder frei wäre, um das neue Jahr ohne Ballast zu beginnen?

Bestimmt wäre das auch für andere Menschen interessant, für Söder zum Beispiel, dessen größte Sorge ja das Gendern ist, das unbescholtene Menschen in Grüne und Veganer verwandelt. Davor retten kann uns nur noch Monika Gruber - so tief ist das Land gesunken. Kein Wunder, dass niemand mehr glaubt, das neue Jahr würde besser als das alte. Angesichts dieser Aussichten möchte man die Zukunft am liebsten in die Tonne treten. In den Restmüll. Und bitte nicht recyceln.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6328246
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.