Süddeutsche Zeitung

Mitten in Sendling-Westpark:Haste Töne

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Akustisch betrachtet kann Abstandhalten durchaus Vorteile haben

Kolumne Von Berthold Neff

Früher, als Fußballspiele noch vor Publikum ausgetragen worden sind, verstand man in den Hexenkesseln kaum sein eigenes Wort. Heute erzählen die wenigen Menschen, die zum Beispiel als vierte und weitere Offizielle dem Treiben der 22 Profis im Stadion beiwohnen dürfen, Erstaunliches. Man höre jedes Wort, das auf dem Rasen oder auf der Bank gesagt oder geschrien werde.

In sportlichem Ambiente finden derzeit auch viele Sitzungen der Bezirksausschüsse statt. Man profitiert von der Weite des Raums, um die von der Corona-Pandemie diktierten Abstände zu wahren. Anders als im Stadion hört man beim Treff in den Turnhallen aber nur jedes zweite Wort, wenn überhaupt. Am Dienstagabend etwa, als sich der Bezirksausschuss (BA) Sendling-Westpark wieder in der Turnhalle der Fernpaßschule traf, verging einem zwar nicht das Sehen, aber das Hören.

Wer davon gehört hat, dass man im Amphitheater von Epidaurus, das vor 2500 Jahren auf dem Peloponnes entstand und Platz für etwa 10 000 Zuschauer bot, selbst auf dem obersten Rang noch jedes Wort verstand, kommt da ins Grübeln. Wieso hört man dort auch auf dem letzten Rang noch, wie jemand auf der Bühne ein Blatt Papier zerreißt?

In der Turnhalle der Fernpaßschule kann davon keine Rede sein. Die 27 BAMitglieder sitzen in einem Rechteck an den Seitenlinien, die Handballtore im Rücken und die Basketballkörbe über den Köpfen. Zwischen ihnen, so wie Söder es befahl, mindestens zwei Meter Abstand. Das Spielfeld aber, auf dem sonst das Leben tobt, bleibt leer. Warum eigentlich?

Eine Erklärung wäre, dass sich SPD und CSU über das Spielfeld hinweg richtig anschreien können? Brauchen sie nicht, sind neuerdings oft derselben Meinung. Noch lauter müssen jetzt die Grünen sein, die - obwohl stärkste Fraktion - von SPD und CSU bei der Wahl der BA-Spitze ausmanövriert wurden. Sie sitzen am Sieben-Meter-Kreis und müssen bis zum BA-Chef Günter Keller stimmlich die Länge des Spielfelds überbrücken. Vorschlag zur Güte: Die BA-Mitglieder sollten aufs Spielfeld dürfen, jeweils zwei Meter ringsherum als Abstand. Man würde sich dann besser verstehen.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2020
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