Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere:Eklat im Ehekäfig

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Die Premiere des französischen Konversationsstücks "Der Sittich" in der Komödie im Bayerischen Hof ist ein fein konstruiertes Spiel über Bande. Michaela May und Krystian Martinek agieren mit jugendlicher Verve.

Von Barbara Hordych, München

Ein Mann, eine Frau, ein Sittich: Letztgenannter schwebt in der Komödie im Bayerischen Hof in einem Käfig über den Köpfen eines gutsituierten Paares in einem eleganten, in Blau-Grau gehaltenen Wohnzimmer. Er ist aber auch Titelgeber des vielschichtigen französischen Konversationsstücks "Der Sittich" von Audrey Schebat, das bei seiner Uraufführung 2017 an den Pariser Boulevardtheatern ein großer Erfolg war. In der Komödie verkörpern Michaela May und Krystian Martinek mit jugendlicher Verve das seit dreißig Jahren verheiratete und namenlos bleibende Paar. Ein Hinweis darauf, dass Schebats Geschichte so oder ähnlich überall stattfinden könnte - nicht nur wie hier in Paris, musikalisch untermalt von Charles Aznavours "She". Sittiche flattern auch in der neu eröffneten Ziervogel-Handlung von Catherine, präsent sind sie allerdings nur gesprächsweise. Denn die Freunde Catherine und David erscheinen nicht zum verabredeten Essen. Bei ihnen sei eingebrochen worden, erklärt David via Telefon.

Das nun entstehende Vakuum füllen Vermutungen und Verdächtigungen um das abwesende Paar. Während Sie wegen Catherines gestohlener Designer-Kleidung nebst Schmuck und Schuhen auf eine turnerisch begabte "Einbrecherinnen-Gang" tippt, zweifelt Er wie wohl häufiger an ihrem Verstand. Insbesondere, als Sie die Indizien als Hinweise auf eine heimlich, schnell und "mutig" vollzogene Trennung zu deuten beginnt. Was daran denn "mutig" sei, will Er wissen. Wenn ein Mann sich so aus dem Staube mache, gelte er als "Schwein" und feige. Wieso bewerte sie dieselbe Aktion von einer Frau ganz anders?

In diesem Spiel haben alle Beteiligten zugleich recht und unrecht

Rollenhinterfragungen wie diese gehören zu den Stärken von Schebats Stück, das unter der Regie von Mays Mann Bernd Schadewald pointiert und mit vielen geschickten Wendungen das Gesellschaftsmodell Ehe zerpflückt, darin nicht unähnlich den Stücken der Autorenkollegen Yasmina Reza oder Daniel Glattauer (in dessen "Wunderübung" May zuletzt in der Komödie spielte). Wenn Martinek als Anwalt die Steilvorlage seiner Frau aufnimmt, die gerade ihre Freundin Catherine für den erfolgreichen Verkauf von elf Wellensittichen in der Woche gelobt hat, führt das zu herrlich abstrusen Vergleichen. Gnadenlos rechnet er ihr seine eigenen Honorare in Wellensittichen vor: Eine telefonische Beratung bringe ihm und seinem Kanzlei-Partner David "zehn Wellensittiche" ein, bei den Honoraren für Prozesse greift er gar zu Papageien und Kakadus. Und als er richtig in Rage gerät, schneidet er ein Baguette in Scheiben, ein Stück pro Sittich. Wütend platt geschlagen, fliegen sie alsdann über die Bühne - verschlungen vom Finanzamt und von Catherines Designer-Kleidung. Für ihn, als armen Männer-"Tropf", bleibe vom ganzen Geld lediglich ein kleines Stück übrig.

Unbeeindruckt von diesen materiellen Gleichungen hält Sie ihm Catherines emotionale Situation im "goldenen Ehekäfig" vor. Viele Jahre, in denen sie wegen der Kinder beruflich zurückgesteckt und er seine Affären gepflegt hat. Weswegen sie jetzt an mangelnder Wertschätzung verzweifelt. Aber da spricht Sie schon längst nicht mehr von dem abwesenden Paar, sondern von ihrem eigenen Leben. Ein fein konstruiertes Spiel über Bande, in dem alle Beteiligten recht und unrecht haben: Denn am Käfig haben sie alle mitgebastelt.

Der Sittich, bis 6. März, Komödie im Bayerischen Hof

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