Süddeutsche Zeitung

Meine Woche:"Zu Hause sitzen, das ist nicht alles"

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Kaixian Wu lädt Kinder zur chinesischen Vorlesestunde

Von Sonja Niesmann

Die Schriftzeichen auf dem Veranstaltungshinweis sind für Unkundige nicht zu dechiffrieren, die Illustrationen auf den vorderen Buchdeckeln dagegen verraten auf den ersten Blick, um welche Geschichten es sich handelt: "Die kleine Raupe Nimmersatt. Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat." Neben vielen anderen Bilderbüchern sind auch diese drei Kinderzimmer-Klassiker ins Chinesische übersetzt worden, und sie gehören zu jenen Büchern, aus denen Kaixian Wu einmal im Monat in der Stadtbibliothek Bogenhausen vorliest, das nächste Mal an diesem Dienstag, 19. September, um 16 Uhr. Etwa zehn kleine chinesische Buben und Mädchen lauschen ihr in der Regel. Und manchmal, erzählt sie, kommen auch deutsche Kinder dazu. Sie verstehen natürlich die fremden Klänge nicht, "aber sie erkennen die Bilder". Das ist offenbar faszinierend genug, um dabei zu bleiben.

Die 40-Jährige kam vor dreieinhalb Jahren mit ihrem deutschen Mann und dem damals sechs Monate alten Sohn nach München. In China hatte sie, die studierte Finanzexpertin, 15 Jahre in der Entwicklungsabteilung von SAP gearbeitet, und in ihrem neuen Heim stellte sie nach einer Weile fest: Nur zu Hause sitzen, mit einem Kleinkind, "das ist nicht alles". Einen Job, der mit viel Abwesenheit, gar Reisen verbunden ist, wollte sie aber auch nicht. Also macht sie nun eine Montessori-Ausbildung. Und sie hat Verpflichtungen in der Eltern-Kind-Initiative, in der ihr Sohn betreut wird: "Ich mache die Listen für Adressen, Notdienste, Wäsche", erzählt sie in ihrem bemerkenswert flüssigen Deutsch, das sie zunächst in Sprachkursen gelernt hat und nun im Alltag weiter vertieft. Zudem ließ sie sich auf der Freiwilligen-Messe im Gasteig beraten, wie sie sich engagieren könnte - und schlug dann der Bogenhauser Stadtbücherei die Vorlesestunde auf Chinesisch vor. Das gab und gibt es bis dato in keiner anderen Filiale, und immerhin, so schätzt Kaixian Wu, leben "einige tausend" Chinesen in München.

Vorlesen, singen, basteln - auch die chinesischen Mütter lieben diese Treffen einmal im Monat in der Stadtbücherei, stellt Wu fest, sie sind Gelegenheit zu Geselligkeit, zum Kontakte knüpfen. Und für die Kinder Gelegenheit, miteinander Chinesisch zu sprechen - das findet sie wichtig. Deshalb wählt sie auch immer wieder, neben den Übersetzungen von Bilderbüchern aus allen möglichen Ländern, originale chinesische Lektüre aus - "damit die Kinder etwas von dieser wunderbaren, 1000 Jahre alten Kultur kennenlernen".

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Quelle:
SZ vom 18.09.2017
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