Süddeutsche Zeitung

Meine Straße:Feilitzschstraße

Lesezeit: 3 min

Die sympathischsten Alkoholiker der Stadt, Jugendliche, die für Schuhe vor Läden übernachten, und Hundewelpen neben Chaiselongues - Pierres Nachbarschaft

Protokoll: Mercedes Lauenstein

Niemand kennt eine Straße so gut wie die Menschen, die in ihr leben. Deshalb bitten wir hier regelmäßig junge Münchner, uns ihre Straße zu zeigen - die schönsten Ecken, die besten Läden, die schrulligsten Typen, die nettesten Anekdoten. Heute:

Pierre, 30, Autor

Die Feilitzschstraße ist eine Metapher. Hier passiert im Kleinen das, was sich in der Stadt im Großen abspielt. Auf 600 Metern gibt es das alte Künstler-Schwabing mit seinen kleinen Theatern, Kleinkunstkneipen, Boazn und dem Kopfsteinpflaster - direkt neben den teuren, neuen Lokalen und Glaspalastwohnungen. Ich habe sie außerdem noch nie wirklich still oder leer erlebt, zu keiner Tages- oder Nachtzeit, hier regiert ein sympathisches Chaos.

Dazu passt, dass die Feilitzschstraße als "die Straße mit der Bombe" bekannt ist. Vor ein paar Jahren haben sie hier einen Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg gefunden und zum Leidwesen vieler umliegender Häuser und Läden unter riesigem Aufwand gesprengt. Das Schönste daran: Die Bombe lag da, wo die berüchtigte Kneipe Schwabinger 7 früher war. Und die Vorstellung, dass man dort jahrelang hart auf 250 Kilogramm Sprengstoff gefeiert hat, bringt mich immer wieder zum Lächeln.

An ihrem einen Ende führt die Straße in die Ruhe des Englischen Gartens. Auf der anderen in drei Kinos gleichzeitig. An der Münchner Freiheit und in den Leopold Kinos spielen sie das Mainstream-Programm, während das kleine ABC-Kino in der Herzogstraße - die ja gewissermaßen die Verlängerung der Feilitzsch ist - die Indie- und Arthouse-Filme ins Programm nimmt.

Neben Touristen, die in den Englischen Garten strömen, bilden auch die Ganztagstrinker vor der Hopfendolde eine Konstante, und ich muss sagen, ich habe selten so sympathische Alkoholiker erlebt. Sie sind freundlich, immer heiter und angenehm, keine Spur von Gepöbel und Gebrüll, wenn man vorbeigeht. Donnerstags kann man dort Karaoke singen (oder man schließt die Fenster, wenn man nebenan wohnt) und es gibt sogar einen Hopfendolden-Flohmarkt, im Innern der Bar.

Vor dem Kickz Sneakerladen an der Münchner Freiheit campen manchmal Jugendliche. Und zwar immer dann, wenn bestimmte neue Sneakers in den Verkauf kommen. Die wollen am Morgen die Ersten sein, die sie kaufen. Wie bei Apple. Nur mit Schuhen. Es gab in der Feilitzschstraße aber tatsächlich auch einen echten Obdachlosen, der das Bild geprägt hat - ein älterer Mann mit Dreads und Gitarre. Diese Gitarre hatte nur noch eine einzige Saite, und die war auch noch kaputt, was ihn jedoch nicht daran hinderte, lauthals Lieder zu singen. Allerdings habe ich ihn jetzt seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und hoffe, es ist ihm nichts zugestoßen.

Der Drugstore mit dem Heppel und Ettlich-Theater im ersten Stock ist eine tolle, urige Institution. Am coolsten daran ist natürlich der Kiosk im Gastraum, nicht nur, weil es ungewöhnlich und lustig aussieht, wie da einfach ein echter Zeitungskiosk mit Getränken, Zigaretten, Süßigkeiten und allem, was man sonst noch so braucht, mitten in einem Lokal aufgebaut ist, sondern auch, weil Kioske, die bis spät abends geöffnet haben, ja eine Seltenheit in München sind und man da nach Feierabend immer noch das Nötigste kaufen kann.

Und dann gibt es natürlich noch den McDonald's, der hier auch schon sehr lange steht und einerseits so gar nicht in dieses Kleinkiez-Umfeld passen will, und dann irgendwie doch total. Wer also am Wochenende aus einer der Bars in der Straße fällt, der kann dort bis um fünf Uhr morgens gleich sein Frühstück besorgen.

Im Cocktailhouse an der Ecke Ursulastraße gehe ich hin und wieder Cocktails trinken. Was richtig Besonderes ist der Laden nicht, aber der Name ist Programm, es gibt eine große Auswahl an Cocktails, vor allem an alkoholfreien. Das findet man ja auch nicht so oft. Im Occam Deli treffen sich von Morgens bis Mittags Mütter, um sich gegenseitig ihre Kinder zu zeigen, die auf der Sitzbank entlang der Fensterfront krabbeln. Im Grunde ist das eine Kita für Kaffeetrinker.

Natürlich darf in einer so sonderbaren Umgebung wie der Feilitzschstraße ein obskurer Antiquitätenladen nicht fehlen. An der Ladenfront hängt ein großes und selbst bereits antiquiertes Foto der Besitzerin, aus den Siebziger- oder Achtzigerjahren. Das Schaufenster präsentiert dann zum Beispiel Porzellan-Sets für 600 Euro und im Innern des Ladens spielen Hundewelpen (ja, echte) neben mit Chintz bezogenen Chaiselongues. Die Welpen sind leider nicht zum Mitnehmen. Ich habe mal gefragt.

Wer gerne Nudeln für 25 Euro isst, dem sei das Restaurant Seerose, gegenüber des Antiquitätenladens, empfohlen. Das Essen sieht sehr gut aus, die Leute, die dort sitzen, ebenfalls. Pep Guardiola und Bastian Schweinsteiger saßen dort mal gemeinsam und wer sich im Promi-Bereich gut auskennt, könnte sicher eine lange Liste erstellen.

Es gibt vieles, das man hier auf wenig Platz tun kann. Doch das Schönste an meiner Straße ist, dass sie dazu auch noch als eine Art Flur funktioniert, von dem andere, noch interessantere Straßen abgehen. Zum Beispiel die Occamstraße mit dem Vereinsheim, wo es Kleinkunst und Kabarett gibt und man immer gut auf ein Bier hingehen kann. Und auch das Rationaltheater ist gleich um die Ecke, wo ich gemeinsam mit meinem Kollegen Alex Burkhard die monatliche Literaturshow "Stadt, Land, Fluss" veranstalte.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2015
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