Süddeutsche Zeitung

Mehr Miete wegen Müllschlucker:Teurer Schacht

Lesezeit: 3 min

Absurde Änderung im Mietspiegel: Wegen eines 40 Jahre alten Müllschluckers in einem dämmrigen Kellerraum verlangt die Stadtsparkasse jetzt mehr Miete.

Kristiana Ludwig

Wo der Schacht endet, das weiß Rudolf Strauss genau. Mit zügigen Schritten steigt er verwinkelte Treppen hinunter, öffnet Stahltüren, in einem dämmrigen Kellerraum bleibt er stehen. Trapezförmige Bleche ragen aus der Decke und weisen dem Abfall den Weg in den schwarzen Restmüllcontainer. Hier landet, was Strauss im siebten Stockwerk in den Müllschlucker werfen darf.

Den Müllschlucker mit seinen Klappen auf jeder Etage gab es schon, als Strauss vor fast vierzig Jahren in das Forstenrieder Hochhaus einzog. Im Juli dieses Jahres bekam er einen Brief von seinem Vermieter, der Stadtsparkasse München: Mieterhöhung. Für jeden Quadratmeter berechnet das Geldinstitut jetzt zusätzliche 68 Cent. Denn der Müllschlucker im Haus werte seine Wohnung auf.

Und tatsächlich: Im aktuellen Münchner Mietspiegel für das Jahr 2011 ist genau dieser Betrag nachzulesen. Dar-auf beruft sich die Sparkasse, und so kostet die alte Klappe im Gang Strauss plötzlich rund 790 Euro mehr im Jahr.

Rudolf Strauss ist 71 Jahre alt, ein hagerer Herr, die Teppiche in seiner Wohnung sind weiß und himmelblau, der Blick aus dem Fenster ist weit. "Wie das manchmal aussieht, wenn im Schacht die Spaghetti hängen", sagt er. Seine Oberlippe kräuselt sich: "Eklig ist das."

Warum gerade dieses Müllsystem ein Grund für Mietsteigerungen sein soll, kann auch Stadtrat Johann Altmann von den Freien Wählern nicht verstehen. Denn diese Anlagen sind mittlerweile umstritten. In Berlin etwa müssen sie bis 2013 stillgelegt werden, wenn mit ihnen keine Mülltrennung möglich ist: Zu viel Papier und Plastik rutsche durch die Restmüllschächte.

Die Hohlräume im Haus erhöhten zudem die Brandgefahr, sagt Altmann. Der Zuschlag von 68 Cent pro Quadratmeter für den Schlucker im Haus sei unangemessen, vielmehr müssten die alten Anlagen ein Grund zur Mietminderung sein. Dass dieser Posten in diesem Jahr zum ersten Mal im Mietspiegel auftaucht, ist für Altmann "nicht nachvollziehbar".

Für den Münchner Mietspiegel werden, wie in vielen Städten, Mietpreise statistisch erhoben und in ein Rechenmodell gegossen. Alle zwei Jahre beschließt der Stadtrat dann eine Tabelle, mit der sich jeder Mieter und Vermieter den Preis seiner Wohnung errechnen kann. So wird eine Wohnung mit Terrasse etwa laut Mietspiegel 2011 pro Quadratmeter 50 Cent teurer als der Grundpreis. Wenn ein Aufzug fehlt, muss der Vermieter 27 Cent weniger Miete im Monat verlangen.

Der Müllschlucker ist somit ein wertvolleres Attribut für eine Wohnung als die Terrasse oder etwa ein zweites Bad. "Das ist absurd", sagt die Sprecherin des Mietervereins München, Anja Franz.

Der Mietspiegel ist in München nicht bloß eine Richtschnur. Er ist "qualifiziert", seine Zahlen bilden also eine rechtliche Grundlage. Die Preise, die hier stehen, sind einklagbar - und geben deshalb immer wieder Anlass zu Debatten. Zu den Absurditäten des neuen Müllschlucker-Postens gehört auch, dass Rudolf Strauss und seine Nachbarn Papiermüll, Kompost und Plastik trotzdem nach draußen tragen: in die blauen und braunen Container.

Der Mietspiegel sei eben kein Instrument für umweltfreundliche Mülltrennungspolitik, sagt der Sprecher des zuständigen Sozialreferats Fabian Riedl. Den Einfluss des Müllschluckers hätten renommierte Statistiker nachgewiesen, also müsse er in die Miettabelle hinein. "Wir stellen die Analyse nicht in Frage", sagt er. Anja Franz vom Mieterverein widerspricht: "Die Statistik ist verzerrt", sagt sie: Der Müllschlucker müsse nicht einmal funktionieren, um Mieterhöhungen zu rechtfertigen.

Die Stadtsparkasse München halte sich strikt an die errechneten Posten, sagt Sprecherin Johanna Lindl. Die Mieten würden angepasst, auch, wie im Fall von Rudolf Strauss mit dem neuen Müllschlucker-Aufpreis. Konkret würde die Bank also in einem zwölfstöckigen Hochhaus wie seinem in der Winterthurer Straße mit mehr als 5000 Quadratmeter Wohnfläche - und einem Müllschlucker - nun mehr als 40.000 Euro zusätzlich im Jahr erwirtschaften. Vorausgesetzt, alle Mieten werden an den aktuellen Mietspiegel angepasst.

Diese Summe, die Strauss errechnet hat, bestätigt die Stadtsparkasse zwar nicht, sie klingt aber plausibel. Wie vielen Mietern die Bank in diesem Jahr Mieterhöhungen wegen eines Müllschluckers im Haus geschickt hat, dazu schweigt Sprecherin Lindl. Sie bewertet den Zuschlag auch nicht. Die Stadtsparkasse besitzt in München insgesamt rund 1500 Wohnungen, die "sozialverträglich" vermietet werden", sagt Lindl.

Doch das Geldinstitut profitiert nun - wie andere Müllschlucker-Besitzer - von einem Mietzuschlag, für den es selbst nichts investieren musste. In den vergangenen Jahren hat die Stadtsparkasse überschüssige Gewinne an die Stadt ausgeschüttet, zuletzt 7,5 Millionen Euro.

Rudolf Strauss klopft mit dem Zeigefinger auf seine Unterlagen: "Eine Unverschämtheit", sagt er. Strauss hat viele E-Mails geschrieben seit Juli. Nun liegen sie vor ihm, seitenweise ausgedruckt, ausgeschnitten und mit einem Klebestift aneinander geklebt. Er protestierte bei Stadträten, dem Wohnungsamt, dem Oberbürgermeister. Sogar das Statistikinstitut TNS Infratest bat er um eine Einsicht in die Mietspiegel-Fragebögen. Ohne Erfolg.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2011
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