Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:Freude aus dem Netz

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Um Senioren im Advent Abwechslung zu bieten, hat Bernhard Seidel eine spontane Idee entwickelt: Er veranstaltet eine interaktive Weihnachtsfeier und sucht jetzt Altenheime, die ihre Bewohner via Zoom daran teilnehmen lassen

Von Nicole Graner, Maxvorstadt

An zwei Szenen kann sich Bernhard Seidel noch sehr gut erinnern. Das war vergangenes Weihnachten. Eines ohne Corona. Er und seine Musiker spielen in einem Seniorenheim ihr Programm "Das Weihnachtsgeschenk" - mit vielen Texten, Instrumentalstücken und Liedern. Ganz nahe neben ihm steht eine Frau, hat die Augen geschlossen und singt laut mit. Voller Seligkeit, voller Glück. "Das war ein so schönes Gefühl, sie so zu beobachten", sagt der Musiker, der vor vielen Jahren Kess ("Künstler engagieren sich sozial") gegründet hat. Die andere Szene: Zwei Frauen sitzen nebeneinander, summen leise vor sich und streicheln sich gegenseitig die Hände. "Sie müssen Freundinnen gewesen sein, so innig waren sie miteinander. Sie haben diesen Augenblick nur genossen." Das habe ihn sehr berührt, diese Szenen seien ihm zu Herzen gegangen.

Das war 2019. Zu einer Zeit, in der Besucher in Pflege- und Seniorenheimen möglich waren. Und trotzdem war auch schon damals ein Weihnachtskonzert im Heim etwas ganz Besonderes. Ein kleiner Höhepunkt im Alltag. Und jetzt? Die Einsamkeit der alten Menschen, die Sehnsucht, sich anzulehnen, erreicht wegen der Corona-Pandemie einen traurigen Höhepunkt. Für die Angehörigen gibt es Besuchseinschränkungen. Das Gefühl, die Welt draußen nur noch durch eine Fensterscheibe zu sehen, macht traurig. Oder wie der Bassist Seidel sagt: "Die Seele wird noch zerbrechlicher."

Er will etwas tun. Will alten Menschen in Münchner Heimen Momente der Freude schenken. Auslöser für eine neue Idee ist dann eine Veranstaltung, die er und seine Musiker via Zoom begleiten. "Da hat es plötzlich geschnackelt bei mir und die Idee für das interaktive ,Weihnachtsgeschenk' war geboren", erzählt der 62-Jährige. Sofort macht er sich an die Planung. Auf einer Videoleinwand können die Senioren in ihren Heimen in großen oder kleinen Räume, je nach Coronalage, die interaktive Weihnachtsfeier verfolgen. Alles wird via Zoom-Meeting übertragen. Das heißt: Alle Teilnehmer sehen durch die Kamera die Räume der Heime, die mitmachen. Die Musiker spielen an einem anderen Ort. Irgendwo. Vielleicht in Bernhard Seidels kleiner Dachwohnung in der Maxvorstadt.

Vorbereitet hat das Team Liedtexte, die als Pdf-Datei an die Häuser verschickt werden und dann zur Weihnachtsfeier verteilt werden können. Ein Administrator plant die genaue Reihenfolge, welches Haus mit welchem Beitrag an der Reihe ist, ein Moderator übernimmt die Überleitungen. Und weil Musik nun mal Seidels Sprache ist, fände er es besonders schön, wenn die Senioren auch interaktiv mitmachen könnten. Einer liest zum Beispiel ein Gedicht vor, ein anderer erzählt eine Geschichte. Vielleicht gibt es aber auch besondere Wünsche für Lieder. "Das könnten die Heime ja vorher abfragen", sagt Seidel.

Die Idee entstand also ganz spontan. Und spät. Natürlich weiß Seidel, dass jetzt die Zeit drängt. Denn es sollen ja so viele wie möglich mitmachen. An einige Häuser hat er bereits Anfragen geschickt. "Jetzt warten wir ab. Wir Musiker können auf jeden Fall ganz schnell reagieren", sagt der Bassist, der mit seinem langjährigen Musikerfreund Theo Degler (Akkordeon/Klavier) und Sängerin Sandra Nahabian für so eine Weihnachtsfeier schon intensiv probt.

Vor Jahren hat Seidel, der klassische Musik am Münchner Konservatorium studiert hat und begeistert Tango spielt, "Künstler engagieren sich sozial" (Kess) gegründet. Alle Musiker, die da mitmachen, spielen ehrenamtlich in verschiedenen Einrichtungen wie Gefängnissen oder Krankenhäusern. Weil Seidel für dieses Projekt von Musikfonds eine finanzielle Förderung von 6000 Euro bekommen hat, will er auch seine Künstler für die interaktive Weihnachtsfeier bezahlen. "Es ist so eine schwere Zeit jetzt, da müssen wir zusammenhalten", sagt er und betont, dass es für ihn gerade nicht um Konzepte einzelner Künstler gehe, sondern um die Chance, miteinander Musik, Kunst und Kultur auf neue Weise nach außen zu tragen. Jetzt hofft er, dass er für viele Senioren Musik machen kann. Und dass bei den Liedern eines keinesfalls fehlen darf: "Stille Nacht".

Kontakt: Bernhard Seidel, info@konzert.name

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SZ vom 08.12.2020
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