Lesung im Münchner Lustspielhaus:Charlotte Roche erklärt sich selbst
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Immer schön sympathisch bleiben, wenn man über Analverkehr redet: Charlotte Roche hat seit ihrem Super-Bestseller viel dazugelernt, um ihr neues Buch "Schoßgebete" zu verkaufen. Bei einer Lesung in München haut es Nerdbrillenträger und ältere Damen fast aus den Sitzen - vor Abscheu und Begeisterung.
Ruth Schneeberger
Charlotte Roche sieht besser aus denn je. Die Gesichtszüge sind weicher, die Haare voller und einen Tick heller, die Kleidung weniger seltsam. Vor drei Jahren noch, als sie für ihr Buch "Feuchtgebiete" unterwegs war, das zum absoluten Bestseller avancieren sollte, glich sie auf der Bühne eher einer Außerirdischen, die dort ausgesetzt worden war, um die Menschen zu verwirren.
Apart war sie immer - doch mit spitzen Knien, großem Kopf und weit aufgerissenen Augen las sie scheinbar nie gehörte Dinge über den merkwürdigen Sex und die schmerzhaften Hämorrhoiden einer jungen Frau, die für Ekel bei den einen und bei den anderen für erleichtertes Aufatmen sorgten. Das bugsierte die ehemalige Viva-Moderatorin noch weiter in die Ecke, in die sie in der Öffentlichkeit immer schon geschoben worden war: Skurril, aber sehenswert.
Jetzt ist alles etwas anders: Sie trägt noch immmer Oma-Kleid - inzwischen aber ein elegantes - und schwindelerregend hohe Pumps. So steht die Bestseller-Autorin siegesgewiss auf der Bühne des Lustspielhauses in München und flirtet mit dem Publikum.
Auf ihre komische verquere Art, in der alles zugleich niedlich und unartig ist. Schlagfertig begegnet sie auch den übelsten Fragen aus dem Publikum, ob sie wirklich auf ältere Männer stehe und welche Form der Flüssigkeit denn nun besser zur Analpenetration des Mannes sei: Dieses Gleitgel aus dem letzten Buch, oder doch lieber Wasser, wie in dem neuen?
Charlotte Roche ist schon seit ihrem ersten Buch die Klassensprecherin der unbeschönigten Sexualität, in "Schoßgebete" hat sie nun nachgelegt. Die ersten 20 Seiten bestreitet die Autorin mit detailversessenen Schilderungen des ehelichen Geschlechtsverkehrs, wer wem was warum und wie genau zu welchem Zeitpunkt macht. Wenn sie liest, merkt man, welchen Spaß sie gerade an den winzigsten Details ihrer eigenen Schilderung hat - und ahnt: Dies ist kein Porno, Charlotte Roche fühlt sich als Wissenschaftlerin der menschlichen Triebe. Und so schreibt und betont sie dann auch ganz leidenschaftlich, und immer mit einer deutlichen Betonung auf den kindlich-naiven Zugang: "Ich lieeeeebe Wissenschaft, weil sie das schlechte Gewissen weg macht."
Ein schlechtes Gewissen müssen die Besucher ihrer Lesungen nicht mehr haben. Waren es beim ersten Mal eher die mit ihrer Musikmoderatorin älter gewordenen Teenies und ein paar ältere Herren mit Zopf, die sich trauten, sind es in München nun Anzug- und Nerdbrillenträger aller Altersklassen, Frauen Anfang 30, und ein paar ältere elegante Damen, die sich erzählen lassen, wie der Sex in der Ehe funktioniert. Alle haben sich schick gemacht.
Charlotte Roche liest zwei Passagen, in denen es explizit und sehr ausführlich um Sex geht. Einmal im ehelichen Bett, einmal zusammen mit ihrem Mann bei einer Prostituierten, weil ihr Göttergatte das so will. Und Protagonistin Elisabeth stolz ist, ihm dieses Vergnügen ermöglichen zu können, weil sie doch die Coolste ist.
Die Coolste spielt Charlotte Roche auch auf der Bühne, und sie macht ihre Sache inzwischen richtig gut. Fast eine Stunde lang stellt sie sich nach der Lesung den Fragen des Publikums, und sie badet sichtlich in der Aufmerksamkeit, der intimen, geradezu verschwörerischen Stimmung - und der Zuneigung, die ihr entgegen schwappt. Die Zuschauer hängen an ihren Lippen, manche Frauen stoßen leise Freudenschreie aus, weil endlich mal eine sagt, wie das ist mit dem ehelichen Sex und dem weiblichen Körper. Gnadenlos ehrlich, aber auf eine so verrückt charmante Art, dass es zum Lachen ist, und für viele offensichtlich sehr befreiend wirkt.
Warum sie sich denn selber so auf die Sex-Szenen reduziere, will eine Dame aus dem Publikum wissen, das neue Buch sei doch voll von gewichtigen Themen, hochemotional und viel ernsthafter als das andere. Weil sie auf ihren Lesungen ja auch Spaß haben wolle und keine Lust habe, in tränenverschmierte Gesichter zu blicken - und weil sie außerdem umso lieber die Sex-Szenen auspacke, je mehr sie darauf reduziert werde, antwortet sie munter. Gerade wenn sie in Interviewrunden mit vermeintlichen Sex-Experten konfrontiert werde, drehe sie richtig auf - "denn über Sex reden, das kann ICH immer noch am besten", schmunzelt sie stolz.
Warum sie sich denn an anderen Stellen so klein mache, will ein jüngerer Fan wissen. Etwa bei der Schilderung, wie sie den Vorstandsvorsitzenden der Springer-AG, Mathias Döpfner, "diesen schöngeistigen Riesen-Lulatsch", im Flugzeug begegnet sei und ihm auf die Nase zugesagt habe, dass er ein schlechter Mensch sei, "wegen der Bild-Zeitung". Es ist typisch für Charlotte Roche, dass sie sich danach sofort in die hinterste Ecke zurückgezogen und Angst hatte, dass "dieser mächtige Mann mit seinen ganzen Zeitungen" etwas gegen sie unternehme. "Ich mache das, weil ich will, dass Du mich sympathisch findest", entgegnet sie ohne lange Überlegung - und das ist schon wieder so entwaffnend ehrlich, dass das Münchner Publikum beeindruckt ist.
In der Tat handelt "Schoßgebete", anders als ihr Erstling, von tiefergehenden Problemen der Protagonistin, die durchaus autobiografisch zu lesen sind. Zwar hatte schon Helen Memel in "Feuchtgebiete" mit allerlei psychischen und körperlichen Problemen zu kämpfen, doch dies ist die ultimative Steigerung: Elisabeth Kiehl ist komplett neurotisch, hat Angst vor allem und sorgt sich ununterbrochen - außer beim Sex. Weshalb der auch so wichtig ist.
Dass sie dabei zum ersten Mal in der Öffentlichkeit von ihrer eigenen Familientragödie erzählt, dem schweren Autounfall, bei dem ihre drei Brüder ums Leben kamen und ihre Mutter schwer verletzt wurde, und warum sie seitdem gegen die "Bild"-Zeitung kämpft, die ihr Leid ausschlachten wollte, das hat wohl auch viel damit zu tun, dass sie ihr Leid immer noch selber ausschlachten will. In ihren eigenen Worten, und genau dann, wann es ihr passt.
Selbstbestimmung inmitten größtmöglicher Verwirrung, das ist das Thema von Charlotte Roche, und das ist auch das Thema ihres neuen Buches. Es wird wohl auch das Motto ihres dritten Buches sein, wie sie am Freitagabend in München ankündigt. Das Thema Frauen und Körperfett habe ihr Lektor diesmal rausgestrichen. Dabei eigne es sich gut für ein neues Werk, findet Roche, die neben allem Klamauk auch immer darauf pocht, dass sie eigentlich ja eine feministische Weltsicht vertrete. Wobei sie sich inzwischen öffentlich und auch gezielt in ihrem Buch von der "lustfeindlichen" Cheffeministin Alice Schwarzer distanziert.
Es laufe da trotzdem eine "ständige Verarsche" von Schönheitschirurgie und der Werbeindustrie, die Frauen einrede, wie sie auszusehen haben. Sie selbst sei ja nun dank ihrer Therapeutin noch am Leben und nicht mehr magersüchtig, kenne aber viele Frauen, die ihren Körper so lange ummodellierten, bis er den Vorstellungen der anderen entspreche.
Damit legitimiert Roche auf geschickte Weise die ständige Verkaufe über das Sex-Thema, auch wenn es in ihrem neuen Buch eher darum geht, sich ein paar Dinge von der Seele zu schreiben, die sie belastet haben. Und am Ende geht es der Autorin Roche doch vor allem um eines: das Gefallen. Das merkt man auf der Bühne mehr denn je, und es ist in ihrem Charakter so ausgeprägt, dass sie möglichst verrückte Dinge anstellen will, um zu überprüfen, ob sie dann immer noch gefällt. Bisher funktioniert dieses Experiment ganz gut - auch wenn manche sie hassen.
So wie eine graumelierte Dame, die empört die Lesung verlässt. Sie hatte wohl erwartet, die Autorin sei erwachsen geworden. Charlotte Roche kann mit vielem dienen, aber damit nun wirklich nicht.