Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Forscher mit Blick fürs Dorf

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Der 80-jährige Hanns Joachim Kyrein prägt Putzbrunn

Von Stefan Galler, Putzbrunn

Hanns Joachim Kyrein kann seine Begeisterung kaum zurückhalten: "Dass wir so schnell einen Impfstoff hatten, ist eine Glanzleistung der deutschen Wissenschaft", sagt der Putzbrunner über die Forschung der Mainzer Firma Biontech. Normalerweise werde ein solches Vakzin erst frühestens neun Jahre nach Forschungsbeginn zugelassen. "Das Präparat ist sicher und wirksam, damit müssen wir uns vor den Amerikanern nicht verstecken."

Kyrein kann sich ein solches Urteil erlauben, schließlich weiß der gebürtige Allgäuer als Apotheker und promovierter Biochemiker, wovon er spricht. Zuletzt feierte Kyrein, der seit 1975 im Putzbrunner Ortsteil Waldkolonie lebt, 80. Geburtstag.

Der Jubilar ist der Enkel des Unterbiberger Großbauern Josef Kyrein, der von den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts an dort Bürgermeister war und den Ort so nachhaltig prägte, dass in Neubiberg eine Straße nach ihm benannt wurde. Und auch Hanns Joachim Kyrein hat in seiner Heimatgemeinde Spuren hinterlassen, indem er als Mitbegründer der Putzbrunner Agenda 21 alle Hebel in Bewegung setzte, um die Trinkwasserqualität in der Gemeinde zu verbessern. Von 2003 an kämpften Kyrein und seine Mitstreiter um eine neue Wasserversorgung, ehe 2011 endlich die neuen Brunnen im Höhenkirchner Forst in Betrieb gehen konnten. "Das Problem war die hohe Nitratbelastung durch den Maisanbau im Süden von München und die damit verbundenen Dünger und Pestizide", so Kyrein. Weil aber die Bohrung nach Wasser ein teures Unterfangen ist, dauerte es trotz des Einsatzes von Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) lange, bis die Gemeinde endlich ihre neuen Quellen erhielt. "Durch die Brunnen konnte der Nitratwert des Trinkwassers von zuvor 36 Milligramm pro Liter auf Werte von 14 bis 16 Milligramm abgesenkt werden. Heute trinken die Putzbrunner das gleich gute Wasser wie die Münchner Bürger", sagt Kyrein.

Auch in seinem Berufsleben hat der 80-Jährige Erfolge vorzuweisen, nach dem Pharmaziestudium promovierte er am Milchwissenschaftlichen Institut der Technischen Universität in Weihenstephan in Biochemie und stieg dort in die klinische Forschung ein. Das sei damals durchaus ungewöhnlich für Apotheker gewesen, sagt Kyrein. Mit seinem Team erarbeitete er in der Hormonforschung etwa Nachweismöglichkeiten für Anabolika und Steroidhormone. "Damals waren die Methoden noch mittelalterlich, aber wir entwickelten Tests, um Hormonmästern in Niederbayern und Norddeutschland das Handwerk zu legen und Dopingsünder im Sport zu überführen", sagt der Wissenschaftler, der auch maßgeblich an der Forschung zur Anti-Baby-Pille beteiligt war und später für internationale Pharmafirmen in München an Medikamenten gegen Depressionen, Allergien und Prostatabeschwerden arbeitete.

Kyrein, der nie parteipolitisch tätig war, bezeichnet sich als "grünen Konservativen und gleichzeitig liberalen Zentrums-Sozi", dem das Gemeinwohl am Herzen liegt. Und so ist er weiterhin Mitglied der Putzbrunner Agenda 21, zuletzt arbeitete er im Rahmen des Ortsleitbildes an Zusatzschildern, die die Herkunft von historischen Straßennamen durch Informationen veranschaulichen. Künftig soll bei der Wasserversorgung Putzbrunn ein Nitrat-Frühwarnsystem etabliert werden. "Da werde ich auf jeden Fall weiter dran bleiben."

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SZ vom 12.06.2021
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