Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Ein Verbrechen, das nie gesühnt wurde

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Gymnasiasten aus Ottobrunn erinnern an das NS-Massaker von Falzano di Cortona, für das der einstige Ehrenbürger Josef Scheungraber verantwortlich war. Eine Ausstellung zeigt Recherche-Ergebnisse und Interviews mit Zeitzeugen

Von Stefan Galler, Ottobrunn

Mit der aktuellen politischen Situation, den Erfolgen der AfD oder der zunehmenden rechten Hetze im Netz habe ihre Arbeit nichts zu tun, betonen die Schüler. Natürlich sei ihre große Hoffnung, dass sich die schlimmen Dinge, die während der Nazidiktatur passiert sind, nie wiederholen werden. Aber ihnen gehe es eher darum, Dinge aufzuarbeiten und dabei nicht etwa Brücken einzureißen, sondern etwas Neues entstehen zu lassen. Das ist das Ziel von 14 Zwölftklässlern des Gymnasiums Ottobrunn, die sich im Rahmen ihres P-Seminars Geschichte mit den letzten Kriegsverbrecherprozessen auseinandergesetzt haben. Seit Mittwoch ist das Ergebnis ihrer Arbeit in Form einer Ausstellung in der Bibliothek des Gymnasiums zu sehen.

"Erinnerung muss konstruktiv sein", unter diesem Motto haben sich die jungen Leute, angeführt von ihren Lehrern Claudia Bruckmeier und Matthias Weigert, mit dem Thema beschäftigt. Sie haben sich dabei vor allem auf einen jener späten Prozesse konzentriert, der die Gräueltaten eines Ottobrunner Bürgers betraf: des in der Gemeinde tief verwurzelten Möbelhändlers Josef Scheungraber, der am 27. Juni 1944 ein Massaker von Wehrmachtssoldaten an Zivilisten im italienischen Dorf Falzano di Cortona in der Toskana befohlen hatte, dem 14 Menschen zum Opfer fielen.

Der ehemalige Ottobrunner Ehrenbürger Scheungraber war wegen zehnfachen Mordes im September 2006 in Abwesenheit vom Militärtribunal in La Spezia zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Münchner Schwurgericht bestätigte dieses Urteil im August 2009. Trotzdem hat Scheungraber bis zu seinem Tod im Juli 2015 niemals auch nur einen einzigen Tag in Haft verbracht. Grund war sein schlechter Gesundheitszustand; bei seiner Verurteilung war Scheungraber bereits 90 Jahre alt, litt laut ärztlichem Attest unter Demenz und fortschreitender Erblindung. Die Gemeinde aber erkannte ihm den einst verliehenen Ehrentitel in der Folge ab.

Dass die angehenden Abiturienten überhaupt mit dem Thema konfrontiert wurden, liegt an der Deutsch-Italienerin Stefania Zuber, die in München als Fremdenführerin arbeitet, unter anderem in der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Sie hatte seit 2013 gemeinsam mit dem damaligen Ottobrunner Pfarrer Christoph Nobs jährliche Friedensfahrten von Jugendlichen aus der Gemeinde nach Cortona organisiert. Im Herbst 2017 schlug Zuber der Gymnasiumsleitung vor, einen regelmäßigen Schüleraustausch mit der Schule in der Toskana einzuführen. "Für uns war das in der Kürze nicht zu organisieren, aber schon im Januar 2018 kam die erste Delegation aus Italien", schildert Lehrer Weigert. Der Gegenbesuch der Ottobrunner fand zwar erst im März 2019 statt, bis dahin aber hatten sich die 14 Heranwachsenden über ihr P-Seminar bereits eindringlich mit der Thematik beschäftigt.

Die Schülerinnen und Schüler suchten zunächst Kontakt zu Gesprächspartnern, die ihnen Informationen zu den schrecklichen Ereignissen von damals geben konnten. Sie unterhielten sich mit den Ottobrunner SPD-Gemeinderäten Ruth Markwart-Kunas und Dieter Wax, die schon 2011 erstmals nach Cortona gereist waren, um ein Zeichen zu setzen für die Aussöhnung zwischen den beiden Gemeinden. Ein Jahr später waren beide Sozialdemokraten wieder dort, als der in München lebende Autor Alessandro Eugeni sein Buch "Il falegname di Ottobrunn" (Der Schneider von Ottobrunn) vorstellte, das die Verbrechen Scheungrabers zum Thema hat.

Dass der Name Scheungraber den Ort auch zehn Jahre nach seiner Verurteilung und vier Jahre nach seinem Tod immer noch belastet, wird daran deutlich, dass Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) ein Interview mit den Schülern ablehnte. Er hatte noch nach dem Urteil von La Spezia 2008 eine "Ehrenerklärung" für den Ottobrunner Scheungraber abgegeben, von der er sich auch nach dem Münchner Urteil nie wirklich distanzierte. "Wir haben jedoch den Eindruck gewonnen, dass bei Herrn Loderer ein Umdenken stattgefunden hat", sagt Lehrerin Claudia Bruckmeier. So war er der Einladung zur Eröffnung der Ausstellung im Gymnasium am Mittwoch gefolgt. Im Frühjahr habe er sein Okay für die Pflanzung eines Baumes in Cortona auf Gemeindekosten gegeben. Diese Steineiche solle ein Symbol für die Freundschaft zwischen Cortona und Ottobrunn sein, betonen die Schüler.

Sie tauschten sich mit weiteren Gesprächspartnern aus, etwa mit Scheungrabers Neffen Heinrich Schwarzmayr, der bis heute eine Entschädigungszahlung für die Hinterbliebenen der Opfer aus dem Privatvermögen der Familie fordert; sie kontaktierten den italienischen Staatsanwalt Marco de Paoli, den deutschen Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz und die Anwältin Gabriele Heinecke, die 19 Nebenkläger im Schwurgerichtsprozess gegen Scheungraber vertrat. Lutz und Heinecke unterstrichen in ihren Interviews mit den Schülern, dass der 90-Jährige im Laufe des Prozesses keine Reue für seine Taten gezeigt hatte, sie vielmehr konsequent leugnete.

Am beeindruckendsten sei das Treffen mit dem einzigen Überlebenden des Massakers gewesen. Gino Massetti war damals 15 und schwer verletzt worden, als Scheungrabers Schergen ein Schulhaus, in dem sie neben Massetti zehn weitere Männer zusammengetrieben hatten, mit Dynamit in die Luft jagten. Die Schüler lernten bei dem Treffen einen trotz der traumatischen Erlebnisse "total positiven Menschen" kennen, der für sein hohes Alter "erstaunlich fit" sei. "Heute hat er eine deutsche Schwiegertochter und eine 13-jährige Enkelin, aber keine Rachegedanken", sagt Lehrerin Claudia Bruckmeier.

Die Ausstellung "Cortona - Ottobrunn: Erinnerung muss konstruktiv sein" ist bis 25. Oktober in der Schulbibliothek im Gymnasium Ottobrunn zu sehen. Die Bibliothek ist von Montag bis Donnerstag zwischen 7.45 und 15.30 Uhr geöffnet, freitags zwischen 7.45 und 13.30 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2019
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