Süddeutsche Zeitung

Bildende Kunst:Architektur trifft auf Beleuchtung

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Der Münchner Fotograf Richard Berndt zeigt in Unterschleißheim 30 seiner "Licht-Bilder". Die wirken wie gemalt. Und dass man nicht erkennt, was darauf abgebildet ist, ist durchaus gewollt.

Von Franziska Gerlach, Unterschleißheim

Was könnte dieses Ding wohl sein, das sich auf dem Bild in allen Farben des Regenbogens über einen nachtdunklen Hintergrund schlängelt? Eine Achterbahn auf dem Oktoberfest ist es nicht. Und für einen Brückenpfeiler sieht es zu filigran aus. "Das ist nichts anderes als der Kran hinter dem Münchner Rathaus", sagt Richard Berndt und legt ein verschmitztes Lächeln auf. Nachts werde der in wechselnden Farben angestrahlt. Doch wenn man die Belichtungszeit beim Fotografieren verlängere, seien auf dem Foto alle Farben zu sehen.

Der von Autoscheinwerfern angestrahlte Eiffelturm in Paris, das Fröttmaninger Stadion zum Christopher Street Day, die Reflektoren an den Schleusentoren eines Abschlussdeichs in den Niederlanden, ein Frankfurter Bankhaus zur Luminale, einem Festival der Lichtkultur. Berndt und seine Kamera werden immer dann aktiv, wenn außergewöhnliche Architektur und Beleuchtung aufeinandertreffen. Im Foyer des Bürgerhauses Unterschleißheim werden nun bis 28. März rund 30 seiner sogenannten "Licht-Bilder" in einer Ausstellung präsentiert.

Manchmal muss der pensionierte Gymnasiallehrer aus München-Hadern sehr lange auf den Moment warten, in dem er den Auslöser betätigen kann. Und manchmal - wie im Fall des Feuerwerks, das auf dem Foto wie eine futuristische Blüte wirkt - lässt sich dieser Moment zu seinem Leidwesen nicht wiederholen. Seine besonderen Effekte erzielt der 70-Jährige so: "Man belichtet lange, und während die Blende offen ist, wird die Kamera gedreht oder es wird gezoomt - entweder schrittweise oder durchgehend."

Das klingt zunächst recht technisch. Doch selbst Laien dürfte bei einem Rundgang durch die Ausstellung klar werden: Berndt macht mit seiner Kamera noch interessanter, was ohnehin schon interessant aussieht - und zwar ohne Nachbearbeitung am Computer. Ästhetische Architektur oder Lichtinstallationen verwandeln sich durch seine Aufnahmetechnik zu eigenständigen Kunstwerken, die auf einen ersten, flüchtigen Blick an der Staffelei entstanden sein könnten.

"Allein durch eine andere Perspektive entsteht etwas Neues", sagt Berndt. Und genau das gefällt ihm an der Fotografie. Dafür übt er sich in Geduld, schießt Hunderte Fotos und holt sich im Winter kalte Finger, weil mit Handschuhen ja das motorische Feingefühl verloren geht. Hin und wieder verhilft ihm der Zufall zu einem gelungenen Schuss: In Istanbul hielt er spontan auf ein Boot, das nachts den Bosporus durchpflügte. Herausgekommen ist ein Foto mit wunderschön-psychedelischer Anmutung. "Mich wundert's, dass das Fähnchen so scharf ist", sagt Berndt selbst.

Schon Berndts Vater war ein leidenschaftlicher Fotograf, der in Tirschenreuth einen Fotoclub gründete und Fotokurse an der Volkshochschule gab. Mit zwölf bekam der Sohn vom Vater die alte Kamera vermacht, und fortan entwickeln die beiden gemeinsam in der hauseigenen Dunkelkamera Fotos. "Ich habe das Analoge von der Pike auf gelernt", erzählt Berndt. Dennoch sollte es eine Weile dauern, bis er zu seinen Licht-Bildern fand: Die Kinder, sein Job als Lehrer für Wirtschaft, Recht und Geografie - alles im Leben hat seine Zeit.

Schon in den Achtzigern fotografierte er auf Reisen, die ihn im Laufe der Jahre in die Türkei, nach Ägypten, Südafrika, China oder Brasilien führten. Doch erst mit der Pensionierung erfährt die alte Leidenschaft eine neue Ausrichtung: Berndt geht nun näher heran an die Motive, richtet die Kamera auf Ausschnitte und löst sich von dem Ansatz, ein vollumfängliches Bild abgeben zu wollen. Er schaut nach oben und nach unten, entdeckt Strukturen, fotografiert Türen, Treppen, Pflastersteine oder das Stück einer Tempelsäule. "Die Totale ist nichts für mich, das ist Postkartenfotografie", sagt Berndt und bleibt im Unterschleißheimer Bürgerhaus vor einem Bild stehen.

Rote, blaue und weiße Farbstränge bilden darauf einen Strudel. Berndt schmunzelt, die Aufnahme sei im Sony Center entstanden, und im Übrigen erst einmal erkannt worden, von jemandem, der in Berlin gelebt hat. Man darf also annehmen, dass die Besucher von Berndts erster Ausstellung "München - ungewohnte Perspektiven" (2012) einiges zu rätseln hatten. In diesem Jahr wird der pensionierte Lehrer in der Mohrvilla in München seine Serie "Vecchio/Nuovo - Die Farben Venedigs und das Museo 9 in Mestre" zeigen, in Portugal präsentiert er Aufnahmen aus der südportugiesischen Region Alentejo und das Evangelische Bildungswerk München zeigt seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Korrosionsprodukt Rost.

Was die Interpretation seiner Werke anbelangt, hält es der Münchner Fotograf im Übrigen wie der berühmte US-amerikanische Fotograf Saul Leiter: Entscheidend sei, was der Betrachtende darin sehe, nicht wo oder was es sei. Oder um es mit Berndt zu sagen: "Es ist wurscht, was es für ein Objekt ist."

Richard Berndt, Licht-Bilder, im Foyer des Bürgerhauses Unterschleißheim, Rathausplatz 1, Eintritt frei.

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