Süddeutsche Zeitung

Unterföhring:Wie ein Gebet

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Chucho Valdés und seine Combo begeistern im Bürgerhaus mit feinstem kubanischem Jazz - und viel Leichtigkeit

Von Francesco Collini, Unterföhring

In der Musik, wie im Leben, ist es manchmal eben so: Künstler fangen Projekte an, die sie nicht zu Ende bringen. Doch manche Ideen überstehen die Zeit. Bei Chucho Valdés dauerte es 46 Jahre, bis er sein Album "Jazz Batá" von 1972 wieder aufgriff. Dazwischen: Eine formidable Karriere mit der Band Irakere, sechs Grammy Awards und drei Latin Grammys. Zusammen mit seinem Vater Bebo gilt Chucho Valdés als der Mann, der den kubanischen Jazz weltberühmt machte.

Noch hat er nicht genug. 2018 kam ihm die Idee, "Jazz Batá" mit einem neuen Album - dem alten Titel wird eine "2" hinzugefügt - und einer Tour wiederzubeleben. Diese führte Valdés am Samstagabend zum Internationalen Jazz-Weekend in Unterföhring. Es liegt wahrscheinlich an der Größe des Künstlers, dass das Publikum im ausverkauften Bürgerhaus beim leiser Werden der Lichter plötzlich ganz still wird. Das ändert sich, sobald das lächelnde Quintett die Bühne betritt. Valdés wird von einem Kontrabassisten und drei Percussionisten begleitet - so die Idee hinter "Jazz Batá". Entsprechend rhythmisch entfaltet sich die Musik. Mal frenetischer, mal fließender begleiten die Percussions die energischen Melodien von Valdés, der im Interview mit Le Monde selbst das Klavier als Schlaginstrument bezeichnete.

Das Stück "Obatalá" - die Schöpfergottheit im kubanischen Volksglauben Santería - ist das Manifest von "Jazz Batá 2". Die Bebop-Klänge, die aus dem Klavier funken, vermischen sich mit dem Rasseln der Maracas. Es ist das Wahrzeichen von Valdés Musik. Der New Yorker Sound der späten Vierzigerjahre trifft auf die mystisch-hypnotischen Rhythmen der karibischen Religion. Die kraftvollen Klaviervariationen reißen oft die ganze Band mit, doch Valdés bietet keine One-Man-Show. Ganz im Gegenteil. Das über zweiminütige Solo vom puertoricanischen Kontrabassisten Ramon Vázquez, das in der Mitte von "Obatalá" stattfindet, lässt das Publikum staunen. Am Ende des Stückes stellt Valdés seinen Bassisten vor und applaudiert ihm.

Wenn das Klavier und der Bass als Flügel fungieren, sind die Percussions das pulsierende Herz des Quintetts. Denn die Batá-Trommel steht nicht als reines Instrument im Mittelpunkt, sondern als Konzept. Es ist das Zusammenspiel der Schlaginstrumente, das die jüngste Arbeit von Valdés prägt. Dreiser Durruthy bespielt die Batá oder schrappt am Güiro, manche Stücke leitet er mit seiner Stimme ein. Abraham Mansfarroll am Schlagzeug gibt den Rhythmus im Hintergrund vor. Am meisten Spaß machen jedoch die fast teuflischen Conga-Solos von Yaroldy Abreu. Auch er wird vom Publikum und von Valdés mit Beifall angetrieben. Die Musiker spielen gerne mit ihren individuellen Stärken. Dabei funktioniert das Konzert teilweise wie eine einzige Jamsession. Auch durch die sehr kurzen Pausen, die nur vom Applaus des begeisterten Publikums verlängert werden. Obwohl er der älteste auf der Bühne ist, fehlt es dem 77-jährigen Valdés nicht an Energie. Nach einem Stück ist sein Bassist Vázquez dermaßen erschöpft, dass er Valdés bittet, noch einmal aufzustehen, um sich noch einen Applaus zu holen.

Nach etwas mehr als eine Stunde spielen Valdés und seine Band ihr angeblich letztes Stück. Ein Gebet der Yoruba, des westafrikanischen Volkes, aus dem viele kubanische Sklaven stammten. Durruthy verlässt die Batá und, wie bei einem Ritual, putzt er mit einem Tuch symbolisch den Kopf der anderen Quintettmitglieder. Das Publikum steht auf und klatscht mit, während das Ensemble tanzend die Bühne verlässt. Zweimal werden sie von den Anwesenden gebeten, wieder rauszukommen. Jenseits der extraordinären Virtuosität der Musiker funktioniert der Auftritt von Chucho Valdés deshalb so gut, weil er und seine Weggefährten ihre Kunst erstaunlich leicht aussehen lassen. Wie ein Konzertbesucher am Ende in Richtung Bühne ruft: "Bravo Chucho!"

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Quelle:
SZ vom 15.07.2019
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