Süddeutsche Zeitung

Ude in Taufkirchen:"Man sollte immer auch Privatmensch bleiben"

Lesezeit: 3 min

Münchens Alt-OB erzählt aus seinem Leben und gibt dem Taufkirchner SPD-Bürgermeisterkandidaten Matteo Dolce Tipps

Von Patrik Stäbler, Taufkirchen

Wer als Schüler im Deutschunterricht ein Goethe-Gedicht interpretieren soll, stattdessen aber ein Fantasymärchen zu Papier bringt, der kann noch so mitreißend schreiben und zauberhaft formulieren - eine miese Note ist ihm dennoch sicher. "Themaverfehlung" kritzeln Lehrer in derlei Fällen unter den Aufsatz. Nun ist der einstige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude der Schule schon lange entwachsen - zum Glück, muss man mit Blick auf seinen Besuch in Taufkirchen sagen. Dort sollte der prominente Gast laut Ankündigung mit dem örtlichen SPD-Bürgermeisterkandidaten Matteo Dolce zum Thema "So geht Bürgermeister" sprechen. Eigentlich. Tatsächlich aber spricht Ude - der Redeanteil Dolces bleibt gering - über so ziemlich alles. Die Leitfrage dieses Abends, was denn nun einen guten Bürgermeister ausmacht, streift er nur in wenigen Sätzen. Eine klare Themaverfehlung also - die aber so unterhaltsam und vergnüglich ausfällt, dass hinterher wohl kaum einer der 130 Besucher eine schlechte Note an den Alt-OB verteilen will.

Mittlerweile 72 Jahre alt ist Christian Ude, der die Geschicke im Münchner Rathaus von 1993 bis 2014 gelenkt hat. Dem Alter entsprechend steigt er nach der Begrüßung fast schon bedächtig die Stufen zur Bühne empor. Doch kaum hat der Gast im schwarzen Sessel Platz und Dolces erste Frage in Empfang genommen, merkt man schnell, dass Geist und Gedanken des Münchner Ehrenbürgers immer noch so flink und wendig sind wie eh und je. Überdies ist Ude ein begnadeter Geschichtenerzähler, weshalb es auch niemanden stört, dass er einige Fragen seines Gegenübers eleganter umdribbelt als die Kicker des von ihm so geliebten TSV 1860 München ihre Gegner.

Dolce und Ude sind auf dieselbe Grundschule in München gegangen, wo Letzterer schon als Zehnjähriger beschloss, einmal Oberbürgermeister zu werden. Verantwortlich hierfür sei der Rektor gewesen, der den damaligen OB Thomas Wimmer verachtet habe, da dieser als Schreiner dem einfachen Volk und nicht dem Bildungsbürgertum angehörte, wie Ude erzählt. Als er mal wieder seine Hausaufgaben vergessen hatte, habe der Rektor zu ihm gesagt: "Ude, werd' doch Oberbürgermeister, dann musst du anzapfen können - und sonst nichts." Diesem Rat sei er gefolgt, wobei er mit dem Anzapfen anfangs durchaus Probleme hatte. Bei seinem ersten Wiesn-Anstich 1993 habe er "fürchterliche sieben Schläge" gebraucht, erinnert sich Ude. "Ich habe erst aufgehört, als das ganze Schottenhamel-Zelt im Sprechchor rief: Aufhören! Aufhören!"

Mit Blick auf Matteo Dolce lobt der Alt-OB, dass sich dessen "herausragende Qualifikation als Bürgermeister in seinem serviceorientierten Verhalten zeigt", habe ihn der 30-Jährige doch in Schwabing abgeholt. "Er traut mir wohl nicht zu, dass ich mit meinem Navi selbst zurechtkomme", scherzt Ude. Schon im nächsten Satz wird er dann aber ernst, nachdem Dolce berichtet hat, dass zu seinem Erstaunen keinerlei Polizeischutz vor Udes Haus stand. Dies betreffe eine "brandaktuelle und beklemmende Frage", sagt der Alt-OB. In seiner Amtszeit sei er "keiner wirklich schlimmen Bedrohung" ausgesetzt gewesen - "außer vor jüdischen Anlässen", zu denen er regelmäßig Drohbriefe erhielt. Dass heute selbst Bürgermeister kleinerer Gemeinden eingeschüchtert und bedroht würden, führt Ude auf das "Erstarken eines Rechtsradikalismus" zurück, "der sich erlaubt zu behaupten das Volk zu sein, obwohl er nur eine Winzigkeit von Unbelehrbaren repräsentiert".

Für seinen Appell, dieser Entwicklung entgegenzutreten, gibt es viel Applaus - die meisten Lacher erntet Ude derweil für eine Anekdote aus dem Bundestagswahlkampf 2002. Damals habe er seinen Genossen Gerhard Schröder vor dessen Konkurrenten Edmund Stoiber mit den Worten gewarnt: "Der ist ein unglaublicher Workaholic." Worauf Schröder erwiderte: "Ach, du mit deinem Stoiber. Weißt du, was der macht? Der liest sogar selber Akten!" Nur eine Woche später - "ich schwöre, es war genau so", betont Ude - habe Stoiber, ein Jurist wie er, beim Wiesn-Einzug zu ihm über Schröder gesagt: "Der hat einen Arbeitsstil, wie ihn sich Sie und ich nicht vorstellen können. Der liest nicht mal seine eigenen Akten!"

Ganz zum Schluss - auf die direkte Frage Dolces hin - gibt er diesem dann doch noch drei Ratschläge für den Wahlkampf. Erstens solle er statt auf Flyer und Zettel auf den direkten Dialog mit den Bürgern setzen. Zweitens müsse ein Bürgermeister stets Generalist sein. Und drittens, rät Ude: "Man sollte immer auch Privatmensch bleiben. Ich habe viele erlebt, die vom Wahlkampf so aufgefressen wurden, dass sie hinterher nicht mehr die gewesen sind, die sie vorher waren."

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SZ vom 22.01.2020
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