Süddeutsche Zeitung

Garching:Mit Neutronen zurück in die Vergangenheit

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Rupert Gebhard, der Leiter der Archäologischen Staatssammlung, erklärt bei einem Vortrag an der TU, warum er die Wiederinbetriebnahme des Reaktors FRM II für dringend hält.

Von Tilmann Wensky, Garching

Was Archäologie mit Neutronen-Forschung zu tun hat, erschließt sich dem Laien nicht auf Anhieb. Rupert Gebhard aber kann es anschaulich erklären: "Wir machen jetzt zusammen eine kleine Zeitreise", sagt der Leiter der Archäologischen Staatssammlung, der vor allem auf Strategien zur Restaurierung historischer Fundstücke und die Bronze- und Eisenzeit in Europa spezialisiert ist. In einem Hörsaal der Technischen Universität in Garching schildert er die Funktion und Anwendung von Neutronen-basierten Forschungsmethoden in der Archäologie.

Durch die Bestrahlung der zu untersuchenden Objekte mit kleinsten ungeladen Teilchen können spezifische chemische Bestandteile zerstörungsfrei nachgewiesen werden. Das Resultat gleicht dem Anfertigen eines Fingerabdrucks, nur mit einem radioaktiven Kernreaktor statt einem handelsüblichen Stempelkissen.

Genauer gesagt, werden bei der Neutronenaktivierungsanalyse die archäologischen Fundstücke mit Neutronen beschossen, wobei durch eine chemische Reaktion Gammastrahlung auftritt, die für jedes Element spezifisch gemessen werden kann. Jedem Element kann die entsprechende auftretende Gammastrahlung so zugewiesen werden, wie es eben bei einem Menschen und seinem Fingerabdruck der Fall ist. Mit dieser Methode konnten Forscher etwa belegen, dass keltische Töpferwaren an verschiedenen Orten Europas identische Materialien aufweisen. Deswegen konnten sie auf einen "Technologietransfer" rückschließen: "Die Idee ist gewandert, nicht die Töpfe", erklärt Gebhard.

Bei einer anderen Methode der Archäologen handelt es sich um die Neutronenradiographie. Unter ihr kann man sich das Röntgen von Objekten vorstellen, nur dass anstatt des Röntgen- ein Neutronenstrahl zum Einsatz kommt. Dieser ermöglicht es, die innere Beschaffenheit von Objekten zu analysieren, die aus schweren Elementen wie Holz oder Eisen bestehen anstatt ausschließlich von Körpergewebe, so wie es beim Röntgen der Fall ist. Bis auf Silber seien nahezu alle Materialien für diese Untersuchung geeignet - "und Plastik", scherzt Gebhard.

Zum Beispiel wurden historische Buddha-Figuren durchleuchtet und dabei festgestellt, dass diese im Inneren mit Textilien, Knospen oder Hölzchen gefüllt sind. Dadurch könne man Fälschungen entlarven, die im Inneren laut Gebhard meist hohl sind. Der größte Vorteil liege auf der Hand: "Niemand muss die Buddha-Figur aufsägen, um zu schauen, was sich im Inneren befindet", erklärt der Archäologe. Deswegen kann diese zerstörungsfreie Methode auch bei sehr fragilen Objekten angewandt werden, die unter strikten Schutzauflagen stehen.

Elementarer Bestandteil der Forschungsmethoden sind Neutronen, die nur an wenigen Standorten mit entsprechenden Kernreaktoren zur Verfügung stehen - etwa auf dem TU-Campus in Garching. Doch dort steht der Forschungsreaktor FRM II seit März 2020 still. Bei einer Reinigung war radioaktiver Kohlenstoff in die Luft ausgetreten. Um den 2005 in Betrieb genommenen Kernreaktor wird seit Jahren kontrovers debattiert. Seine Befürworter argumentieren, dass der leistungsstarke Reaktor für Spitzenforschung unerlässlich sei und der Region international Ansehen als innovativer Forschungsstandort verschaffe. Dem steht die Meinung von Umweltschützern und Atomkraftgegnern entgegen, wonach der Reaktor mit waffentauglichem Uran betrieben werde. Nach Ansicht des Bundes Naturschutz etwa ist der Betrieb des Reaktors seit 2011 "illegal", da dieser bisher nicht auf weniger uranhaltigen Brennstoff umgerüstet wurde.

Nun soll der Forschungsreaktor im Frühjahr 2024 wieder anlaufen, dann wohl mit innovativen Brennelementen, die aber zu keinen Abstrichen in der Leistung für die Forschung führen sollen. Gebhard hofft stark darauf, "dass in Garching bald wieder Neutronen fließen". Die Messzeiten im Reaktor seien bei Wissenschaftlern verschiedenster Forschungszweige begehrt. Die Archäologische Staatssammlung, die er leitet, stellt den Forschungsgruppen Objekte aus ihrem Fundus für Untersuchungen zur Verfügung - und diese sind alles andere als trivial. "Sobald man eine Frage beantworten konnte, stellen sich sofort vier neue", beschreibt Gebhard die Tücken des Forschungsalltags. Die Messungen würden abhängig vom Ausmaß des Projekts drei bis vier Tage dauern - die Auswertung hingegen wesentlich länger.

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