Süddeutsche Zeitung

TU Garching:Es klingt kompliziert, es ist kompliziert

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Vom Anagramm zum Sator-Quadrat und weiter zum nächsten Anagramm: Bei der "Enigame" an der TU in Garching kämpfen 250 Teilnehmer in Teams darum, wer am schnellsten vertrackte Rätsel löst

Von Francesco Collini, Garching

Sieben junge Menschen sitzen an einem sechseckigen Tisch, drei andere sind an weiteren Plätzen in einem Seminarraum verteilt. Vor ihren Laptops liegen Kekse, Chips, Schokolade, Gummibärchen und sonstiger Junkfood zur Nervenberuhigung. Die zehn Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Mathematik-Fakultät der Technischen Universität München bilden eines der etwa 60 Teams, die hier in Garching beim ersten "Enigame" der TU München, einer zweitägigen Rätsel-Challenge, mitmachen. Zwei Tage, bis zu 25 Rätsel, an denen jeder teilnehmen kann. Verboten ist dabei lediglich das Hacken der Gegner.

Das Team "UrbanStateOfMind" - eine Hommage der Studenten an einen Mathe-Professor, der Musik macht und ein Lied mit diesem Namen geschrieben hat - ist am zweiten Tag zu Mittag der klare Favorit für den Sieg. Schon seit dem ersten Rätsel führen sie. Bis dahin haben sie höchstens eine halbe Stunde für eine Aufgabe gebraucht, doch an diesem einen Rätsel hängen sie schon seit anderthalb Stunden. Auf den Bildschirmen der Laptops steht nun eine bunte Zielscheibe. Von außen nach innen sind die Ringe blau, weiß, rot, wieder weiß, gelb, weiß und wieder rot. Außerdem sind auf der Zielscheibe ein blauer Löwe, eine gelbe Ratte, ein rotes Kamel und eine weiße Ameise abgebildet.

Dabei hatte das Rätsel mit einer Audiodatei und einer Schrift auf den Bildschirmen angefangen: "lamina deroloc". Rückwärts gelesen: colored animal, Englisch für gefärbtes Tier. Der zentrale Hinweis steckte eben im Rückwärtsgang. Beim Abspielen der Audiodatei in umgekehrter Richtung waren Koordinaten zu hören, die zu einem Kunstwerk am Campus führten, an dem andere Koordinaten zu finden waren. Das Team musste dann zum nächsten Standort laufen, wo dann die bunte Zielscheibe war. Und nun?

Die Spieler werden nervös. "Denkt einfacher!", ruft einer der Spieler, während er sich mit zwei Teamkollegen wieder auf den Weg nach draußen auf die Suche nach Hinweisen macht. Eine andere kleine Gruppe schaut sich das Münchener Nahverkehrsnetz an. Steht die Zielscheibe etwa für S- und U-Bahnlinien? Wohl nicht. Ob sie die Tiere nicht nach Größe anordnen sollten, fragt sich ein Spieler. Bringt auch nichts, die Uhr tickt weiter.

"Ich hab's! Wuhu!", schreit einige Minuten später eine Mitspielerin. Die anderen jubeln und fallen sich in die Arme. Die Antwort steckte wohl im Farbverlauf. Die Mathe-Studentin hatte die Initialen der Tiere je nach Farbe rückwärts aufgeschrieben. "Caracal" heißt die Antwort, das ist eine luchsähnliche Katze, die in vielen Ländern Afrikas und Asiens zu finden ist. Doch das Team darf sich nur kurz freuen. Auf den Rankings sehen sie, dass sie nur noch dritte sind. Ein schwerer Absturz, sie müssen bei den letzten beiden Rätseln aufholen.

"Dass man Stunden an einer Aufgabe sitzt, ist eher die Regel als die Ausnahme", sagt Professor Tim Hoffmann, der computergestützte Mathematik an der TU München unterrichtet und das Spielwochenende mit anderen Mitarbeitern der Fakultät organisiert hat. "Bei einem Turnier in Schweden haben wir für einige Rätsel 22 Stunden gebraucht", erzählt Georg Wechslberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Mathe-Fakultät. Im skandinavischen Land hat er 2006 die Leidenschaft für Puzzle-Hunt-Events für sich entdeckt und ein Team aus TUM-Doktoranden und Alumni gebildet.

Da die Begeisterung über die Jahre gewachsen ist, haben die Mitarbeiter beschlossen, das Spiel nach München bringen. Mit den etwa 250 Teilnehmenden sind sie überglücklich: "Wir sind sehr zufrieden mit den Zahlen, aber vor allem mit dem Einsatz der Teilnehmer. Einige sind heute mit dem Skateboard gekommen, um schneller zu den Zielen am Campus zu kommen. Wir sind megabegeistert", sagt Wechslberger. Er und seine Kollegen mussten viele Stunden Freizeit in die Planung des Events stecken, woran sie etwa ein halbes Jahr gearbeitet haben. "Die meiste Vorbereitungszeit kosten die Rätsel am Campus", sagt Wechslbergers Kollege Benedict Dingfelder. Er zeigt einen Raum im Keller, in dem die Codes an den Wänden nur mit Schwarzlicht zu lesen sind. Im und um den Campus sind weitere Stationen verteilt. Doch trotz der Anstrengungen wollen sie nächstes Jahr weitermachen und noch mehr Menschen einladen.

Die "UrbanStateOfMind"-Mannschaft löst das vorletzte Rätsel in knapp 21 Minuten. Dafür mussten sie ein Blatt mit Punkten zweimal falten. Die Punkte bildeten dann das Anagramm von "validation". Trotz der Schnelligkeit sind sie immer noch auf dem dritten Platz.

Beim letzten Rätsel weist ein weiteres Anagramm zum Sator-Quadrat, ein Satzpalindrom, das man horizontal, vertikal, vorwärts und rückwärts lesen kann, worin ein weiteres Anagramm einen zur Lösung bringt. Es klingt kompliziert, es ist kompliziert, doch die Studenten knacken es innerhalb von 20 Minuten. Das reicht trotzdem nicht: Sie beenden das Spielwochenende auf dem zweiten Platz hinter dem Team der Mathe-Fachschaft. Nach zwei Tagen Spielen trennen nur 15 Minuten die ersten beiden Teams, so knapp kann es bei Rätsel-Games werden. Die Studenten sind ziemlich enttäuscht, aber sie gratulieren einander für die starke Leistung und versprechen sich gegenseitig: "Nächstes Jahr kommen wir wieder."

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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