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Diversität an Schulen:Toiletten für alle!

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Beim Bau neuer Schulen wollen Garching, Pullach und Taufkirchen den Bedürfnissen intersexueller Kinder und Jugendlicher mit speziellen Toiletten gerecht werden. Manche haben einen pragmatischen Ansatz.

Von Gudrun Passarge, Unterschleißheim

Andrea Lehner ist eine Frau, die in die Zukunft denkt. Als Schulplanerin entwirft sie Konzepte für die Welt von morgen. Dazu gehört auch, dass sie gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift, wie etwa die, dass es jetzt in Geburtsurkunden ein drittes Geschlecht gibt. "Davor können wir die Augen nicht verschließen, dem muss man baulich Rechnung tragen", sagt die ehemalige Schulrätin und empfiehlt deswegen für Schulneubauten, wie jetzt in Pullach, eine eigene Toilette für das dritte Geschlecht einzuplanen. Eine Empfehlung, der immer mehr Kommunen folgen und die auch in München in einer Arbeitsgruppe diskutiert wird.

Etwa 80 000 Menschen sollen in Deutschland von Intersexualität betroffen sein, das bedeutet, sie lassen sich genetisch, anatomisch oder hormonell nicht eindeutig in die Kategorie Frau oder Mann einordnen. Erika Schinegger ist ein prominentes Beispiel. Schinegger wurde 1966 Weltmeisterin in der Abfahrt und 1967 österreichische Meisterin im Riesenslalom. Bei einer späteren Geschlechtsuntersuchung gab es kein eindeutiges Ergebnis. Nach einer Operation wurde aus Erika Erik, der später Vater einer Tochter wurde und seine WM-Goldmedaille zurückgab. Intersexuelle Menschen "werden von der Medizin jedoch zu ,Syndromen' erklärt. Wir sehen intergeschlechtliche Menschen in erster Linie als natürliche Varianten menschlichen Lebens an", schreibt dazu der Bundesverband intersexueller Menschen.

Nun hat der Gesetzgeber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2017 die dritte Option "divers" eingeführt, um diese Menschen vor Diskriminierung zu schützen. Das hat Auswirkungen im öffentlichen Leben, auch in den Schulen. "Es ist noch etwas ziemlich Ungewöhnliches", sagt Lehner, die durch einen konkreten Fall auf die Problematik aufmerksam wurde. Es könne zwar sein, dass ein intersexueller Mensch sich eher als Mädchen oder eher als Bub sehe und diese Toiletten nutzen wolle, aber manchmal könne eben beides nicht passen. Deshalb sei es wichtig, eine dritte Toilette zur Wahl anbieten zu können.

Dieser Ansicht ist auch Heinz Durner, Beauftragter für weiterführende Schulen im Landkreis. Bislang habe er die Idee noch nicht gehabt, sagt er auf Nachfrage, "aber ich bin davon überzeugt, dass es in zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit sein wird". Er werde auf jeden Fall sofort den Kontakt zu den zuständigen Ministerien suchen, um sie auf das Thema hinzuweisen. Gerade bei den geplanten Gymnasien im Landkreis sollte man das gleich mit aufnehmen.

Tatsächlich haben auch die Garchinger, die eine neue Grundschule in einem Neubaugebiet planen, die dritte Toilette noch nachträglich in ihre Planung aufgenommen. "Die Gesellschaft muss reagieren", sagt Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD). Er plädiert für einen pragmatischen Ansatz, "wahrscheinlich wird es eine Art Unisex-Toilette werden", beispielsweise könnte auch eine Lehrertoilette dazu umgebaut werden.

Auch im Garchinger Rathaus gebe es schon Überlegungen, eine Unisex-Toilette zu kennzeichnen, entsprechend ausgerüstet mit Pissoir und Toilettenschüssel. Und Taufkirchen, wo im Ortsteil "Am Wald" eine neue Schule entsteht, prüft derzeit die Möglichkeit einer eigenen Toilette für das dritte Geschlecht, berichtet Bauamtsleiter Stefan Beer. Gesetzliche Vorgaben gibt es zwar noch nicht, sagt Beer, "aber wir wollen ja auch auf die gesellschaftliche Entwicklung reagieren".

Dass eigene Toiletten für intersexuelle Menschen ein Thema sind, berichtet beispielsweise die Trans*-, Inter* Beratungsstelle in München. Es spiele durchaus eine Rolle, eine Toilette zu haben, wo man sich sicher fühlen könne. Das gelte im übrigen für intergeschlechtliche oder transgeschlechtliche Menschen genauso wie für Frauen, die in der Gesellschaft immer wieder mit sexistischer Diskriminierung konfrontiert würden, sagt Hannes Warcup, Pädagoge im Diversity-Jugendzentrum in München.

"Wichtig ist, dass man die unterschiedlichen Personengruppen nicht gegeneinander ausspielt", sagt er. Die Lösungen könnten dabei je nach räumlichen Gegebenheiten unterschiedlich ausfallen, genauso wie die Kennzeichnung. Oft reicht ein Schild mit Kloschüsseln oder Pissoirs. Wer die Toilette dann nutzt, bleibt dem Einzelnen überlassen.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2019
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