Süddeutsche Zeitung

Taufkirchen:Zwei Überlebenskünstler

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Miriam Fassbender zeigt die Flucht nach Europa im Film

interview Von Anna Hordych, Taufkirchen

Die Regisseurin Miriam Fassbender begleitete über drei Jahre die Flucht zweier afrikanischer Männern nach Europa. Es entstand der Dokumentarfilm "Fremd", der 2010 erschien, vier Jahre später veröffentlichte sie das Buch "2850 Kilometer" zum Thema. An diesem Donnerstag um 19 Uhr stellt sie Filmausschnitte und Leseproben in der Volkshochschule in Taufkirchen vor.

SZ: Frau Fassbender, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Flüchtlinge zu drehen?

Fassbender: 2005 war ich als Kameraassistentin in Marokko gewesen und hatte Flüchtlinge kennengelernt, die versuchten nach Europa zu gelangen. Mir wurde so stark bewusst, was für ein Privileg es ist, wie ich, ohne Probleme mal eben von Paris nach Tanger zu reisen, sich frei bewegen zu können. Ende Oktober, das war 2005, erschossen marokkanische Soldaten gemeinsam mit Einsatzkräften der "Guardia Civil" mindestens 16 Flüchtlinge, die versuchten über den meterhohen Zaun zu klettern. Ich beschloss, die Flucht nach Europa zu dokumentieren, indem ich die Schicksale Einzelner festhalte.

Sie berichten über Jery aus dem christlich geprägten Kamerun und Mohammed aus dem muslimischen Mali. Was gab den Anstoß zu deren Flucht?

Beide haben sich aus Armutsgründen entschlossen, ihre Heimat zu verlassen. Mein Film beschäftigt sich explizit mit sogenannten Wirtschaftsmigranten - nicht mit politischen Flüchtlingen. Es war mir wichtig zu zeigen, wie wir als Europäer aufgrund unserer Kolonialgeschichte, unserer Waffenexporte, unserer wirtschaftlichen Interessen, die westafrikanische Wirtschaft, den dortigen Arbeitsmarkt, die Rohstoffsituation geprägt haben. Die jungen Menschen finden keine Arbeitsplätze. Es ist ironisch, wie wir in klaren Kategorien zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden und Asylbewerber unter dem Etikett der Armut nicht anerkennen.

Ihr Film endet vor Europa, es bleibt ungewiss, ob die beiden Männer ihr Ziel erreichen werden.

Nach Europa überzusetzen, ist der schwierigste und tödlichste Teil der Strecke. Im Fokus des Films stehen meine Protagonisten als Überlebenskünstler, die durch Transitländer unterwegs sind. Schon hier begegnet man Westafrikanern mit Rassismus, schon hier beutet Nordafrika die eigenen Flüchtlinge aus dem Westen aus. Anliegen meiner Protagonisten ist es auch, den Film eines Tages in ihrer Heimat zu zeigen. Um das gewaltige Risiko zu dokumentieren, das eine Flucht nach Nordafrika, in Richtung Europa birgt. Viele Familien denken nach wie vor, sie schicken ihre Kinder, zumeist Söhne, schlicht auf eine Reise ins Ausland.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2016
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