Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:Ein Prosit auf die Ungarn

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In Keferloh wurde im Jahr 955 mit einem Pferdemarkt der Vorläufer des Oktoberfests begründet. Eine bewegte Geschichte hat auch der Gasthof, der frühere Kreitmair.

Von Lars Brunckhorst, Grasbrunn

Es gibt nur wenige Gasthäuser im Münchner Umland, die in einem Atemzug mit den sogenannten Biertempeln in der Stadt genannt werden. Wenn dieses noch dazu aus dem Munde von zwei so prominenten Münchnern wie dem Journalisten und Schriftsteller Hannes Burger sowie dem früheren Oberbürgermeister Christian Ude geschieht, dann kommt das schon fast einem Ritterschlag gleich. Der Keferloher Gastwirtschaft, die heute unter dem Namen "Gut Keferloh" firmiert, aber nach wie vor als der "Kreitmair" bekannt ist, wurde dieser vor einem Vierteljahrhundert zuteil.

In dem 1994 erschienen Büchlein "Beim Kreitmair in Keferloh" zählt Burger das Wirtshaus zu den Kultstätten familiärer Gastlichkeit und Münchner Gemütlichkeit und Ude, der sonst auf fast alles außerhalb seiner schönen Stadt herabblickte, spricht dem Gasthaus ebendort gar einen "festen, angestammten Platz in der Geschichte der Münchner Gastronomie" zu.

Durchaus zu Recht. Keferloh ist nämlich nicht nur der geografische Mittelpunkt des Bierlandes Oberbayern, wie dem Flecken östlich von München vor vier Jahren hoch offiziell von der staatlichen Vermessungsverwaltung bescheinigt wurde; Keferloh ist auch die Wiege der bayerischen Biertradition schlechthin. Aus dem kleinen Ortsteil der heutigen Gemeinde Grasbrunn stammt zum einen der Ur-Bierkrug, der tönerne Keferloher. Zum anderen wurde auf den Feldern rund um das Gut Keferloh über Jahrhunderte hinweg das Vorläuferfest der Münchner Wiesn gefeiert.

So wurde in Keferloh dem Gerstensaft schon hektoliterweise zugesprochen, als die Theresienwiese noch Weideland war. Die Anfänge des Keferloher Marktes reichen gar bis ins Jahr 955 zurück. Damals verkauften die siegreichen Bayern angeblich nach der Schlacht auf dem Lechfeld die Pferde der geschlagenen Ungarn in Keferloh, in der Folge etablierte sich ein jährlicher Viehmarkt. Erst mit der Hochzeit des späteren Königs Ludwig I. mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen 1810, zu deren Ehren ein Pferderennen auf der nach der Braut benannten Theresienwiese veranstaltet wurde, etablierte sich das Feld, das damals noch außerhalb der Stadt lag, zum Festplatz, womit der Niedergang des Keferloher Markts begann. Trotzdem findet noch heute einmal im Jahr in Keferloh ein großes Bier- und Landwirtschaftsfest statt: der Keferloher Montag. Termin wäre eigentlich an diesem Montag gewesen; doch Corona macht heuer nicht nur dem Münchner Oktoberfest einen Strich durch die Rechnung.

Serie als Digitaldossier

Wirtshäuser sind Orte der Begegnung. Hier geht die Liebe durch den Magen, im Hinterzimmer werden politische Volten ausgekartelt und am Stammtisch das Weltgeschehen verhandelt. Ein bayerisches Wirtshaus ist aber meist auch ein Ort mit Geschichte und voller Geschichten. Davon erzählt die SZ-Serie "Prost Mahlzeit - Traditionelle Wirtshäuser in München und Umland", inklusive kulinarischer Empfehlungen und Ausflugstipps. Die ersten Folgen gibt es jetzt gebündelt als Dossier, Anfang September wird es fortgeschrieben. Erhältlich ist die Sonderausgabe im digitalen Kiosk der SZ oder unter sz.de/mahlzeit.

Dabei hatte Keferloh in der Vergangenheit alles andere als einen guten Ruf. Bei Ärzten und der Gendarmerie soll der erste Montag im September vor 150 Jahren im Kalender rot angestrichen gewesen sein - so sehr ging es rund um den Viehmarkt zur Sache. Brutale Zustände hätten nicht nur rund um das Fest geherrscht, heißt es in Überlieferungen von Augenzeugen, die Betrunkenen hätten auf dem Heimweg nach München, der gut und gerne zwei Wochen dauern konnte, auch in den Wirtshäusern entlang der Strecke schlimmste Zechgelage gefeiert.

Redensartlich ist denn auch der Begriff "Keferloherisch" für einen recht derben Umgang überliefert. So notierte 1851 Felix Schiller in seinem Reiseführer über München: "Besucht man diesen Markt, so muß man sehr auf der Hut sein, um nicht keferloherisch behandelt zu werden." Wegen des groben Miteinanders, heißt es, sei auch der Bierkrug, der Keferloher, so konstruiert worden, dass er zu Bruch geht, ohne größere Schäden anzurichten, wenn ihn sich die Trunkenbolde gegenseitig auf den Kopf schlugen.

In der jüngeren Vergangenheit verbinden sich mit Keferloh und dem dortigen Wirtshaus dagegen buntere, ja schillerndere Geschichten. So war das Wirtshaus mit seinem großen Biergarten von den Siebzigerjahren an bis in die Neunziger besonders bei der Münchner Bussi-Gesellschaft beliebt. Ob Sportler wie Gerd Müller, Udo Lattek und Rosi Mittermeier, Showstars wie Udo Jürgens, Katja Ebstein oder Freddy Quinn und Schauspieler wie Gustl Bayrhammer, Walter Sedlmayr und Karlheinz Böhm - sie alle trugen sich ins Gästebuch ein. Einmal wurde der Biergarten gar zum beliebtesten Münchens gewählt.

Der "Kreitmair", wie das Wirtshaus auch über diese legendäre Zeit seines damaligen Wirts Willi Kreitmair hinaus genannt wurde und bis heute zum Teil wird, war mal eine Institution im Münchner Osten. Der vor sieben Jahren verstorbene Wiesnwirt Willi Kreitmair, dem das Winzerer Fähndl auf dem Oktoberfest und der Spöckmeier unweit des Marienplatzes gehörten, hatte das Wirtshaus 1969 gekauft, das seit 1863 von der Bauers- und Wirtsfamilie Stadler geführt worden war. Kreitmair hatte damit durchaus mutig ein bewusstes Zeichen gegen den damals allgemein beklagten Niedergang der bayerischen Wirtshaustradition gesetzt - mit Erfolg. In dem großen Biergarten mit der angrenzenden Tenne für Hochzeiten und andere Feste verabredeten sich über Jahrzehnte Freunde und Familien, Junge und Junggebliebene. Die Münchner Wirtelegende hat übrigens stets gentleman-like diskret über seine Gäste, die berühmten wie die weniger bekannten, geschwiegen. Weder seine persönlichen Freunde noch seine lieben Stammgäste müssten "irgendwelche pikanten Enthüllungen" befürchten, versicherte er zu seinem 60. Geburtstag am 24. Oktober 1994.

Mit dem Rückzug der Familie Kreitmair begann dann freilich ein Auf und Ab. Nach dem Verkauf des Anwesens zur Jahrtausendwende meldeten mehrere Wirte Insolvenz an und waren Gasthaus und Biergarten immer wieder für längere Zeit geschlossen. Deshalb wäre sogar schon mehr als einmal fast der Keferloher Montag ausgefallen, wenn sich nicht andere Wirte fürs Bierzelt gefunden hätten. Dabei hat die Münchner Augustiner-Brauerei, der das Gasthaus heute gehört, viel Geld in eine behutsame Renovierung und Modernisierung gesteckt. So wurde die Gaststätte erst einmal von allen alten dunklen Möbeln und Erinnerungsstücken entrümpelt, die historischen Holzdielen wurden wieder frei gelegt und die Decken bayrisch blau gefärbt. Mit dem neuen Namen "Gut Keferloh" wurde auch demonstrativ mit der alten Zeit unter der Paulaner-Brauerei gebrochen.

Die letzte Neueröffnung war vor knapp einem Jahr. Seither versucht Jens "Theo" Heupgen als neuer Wirt, den Ruf Keferlohs als Bewahrer der Münchner Wirtshaustradition wiederherzustellen.

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SZ vom 07.09.2020
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