Süddeutsche Zeitung

Serie: "Macht hoch die Tür":Sturm hinter Fensterglas

Lesezeit: 2 min

Der Windkanal an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg ist einer der größten seiner Art. Christian Kähler erforscht darin mit seinen Studenten Strömungsmechanik und Aerodynamik - gerne auch mal am lebenden Objekt.

Von Daniela Bode, Neubiberg

Heute ist es windstill. Manchmal herrscht hier allerdings eine Windgeschwindigkeit von bis zu 160 Kilometern pro Stunde. Das kommt einem schweren bis orkanartigen Sturm gleich. Und das alles in einem Windkanal an der Bundeswehruniversität in Neubiberg. Durch eine fensterartige, etwa 1,60 Meter hohe Tür gelangt man in den langen, dunklen Gang, in dem kleinere Menschen stehen können und manchmal zu Forschungszwecken Falken fliegen gelassen werden.

Christian Kähler, Professor für Strömungsmechanik und Aerodynamik, ist ganz zufrieden mit seinem Windkanal. Mit einer Länge von 22 Metern und vor allem einem Querschnitt von zwei mal zwei Quadratmetern seien seine Ausmaße "ganz ordentlich", sagt er. Unter den Windkanälen an Universitäten zählt er zu den größten. Über einen Turm wird von draußen Luft angesaugt, die dann in den Kanal umgelenkt wird. Am anderen Ende befindet sich eine Turbine mit einem Motor, die wie ein riesiger Ventilator aussieht. Sie bringt die Luft in Bewegung. Wird beispielsweise das Luftverhalten rund um ein Tragfliegerprofil untersucht, wird dieses in den Kanal gestellt und durch die Fenster-Tür, neben der sich noch weitere solche befinden, beobachtet. Das Gute an dem Kanal ist laut dem Professor, dass das Objekt fest ist und sich die Luft bewegt. So kann man es länger beobachten und die Messsysteme können stehen bleiben.

Die Wissenschaftler forschen hier an ganz unterschiedlichen Dingen. "Wir untersuchen den Vogelflug und experimentieren mit Falken", sagt der Professor. Voriges Jahr wurde ein solcher Greifvogel von einem Falkner zum anderen, der am anderen Ende des Kanals stand, fliegen gelassen. Die Forscher interessiert bei so einem Versuch der Streckenflug, aber ebenso Start und Landung. "Es geht darum, zu sehen, wie die Tiere das aerodynamisch machen", sagt Kähler.

Die Forscher beobachten in dem Windkanal außerdem sogenannte turbulente Strömungen, die beispielsweise rund um ein Flugzeug entstehen. "Sie sind gar nicht so chaotisch, sondern haben eine Ordnung. Wir hoffen sie so besser verstehen zu können", sagt Kähler. Für diesen Versuch fügen die Wissenschaftler der Luftströmung kleine Rauchpartikel zu, die sie mit Lasern beleuchten, und nutzen dann viele Kameras, um deren Bewegung zu verfolgen. Diese besondere Messtechnik nennt sich Particle Image Velocimetry.

Die Glastür zum Windkanal...

...ist nur 1,60 Meter hoch.

Auch die Strömungsablösung bei ganz kleinen Fluggeschwindigkeiten an einem Flügelprofil, wie etwa bei Segel- oder Modellflugzeugen, nehmen die Forscher unter die Lupe. "Wir wollen das besser verstehen", sagt der Professor. Denn wenn der Auftrieb durch so eine Ablösung einbricht, stürzt das Flugzeug ab.

In der Regel beobachten die Wissenschaftler die Versuche durch die Fenster und steuern die Bedingungen, also etwa Luftgeschwindigkeit und Temperatur, über einen Computer außerhalb des Kanals. Eher selten begeben sich auch einmal Personen in die starke Luftströmung. Einmal waren es die Falkner. Ein anderes Mal waren es Models mit Regenschirmen. Für die Wissenssendung Galileo wurde getestet, was billige und teure Regenschirme taugen.

Und einmal begab sich auch Professor Kähler selbst in den Sturm. "Ich meinte zu den Studenten, man könne sich auch bequem bei hohen Windgeschwindigkeiten halten", erzählt er schmunzelnd. Das gelang ihm auch - nur darf man die kühle Temperatur durch den starken Wind offenbar nicht unterschätzen. Denn am nächsten Tag war Kähler erkältet.

Die Erkenntnisse aus dem Windkanal fließen nicht direkt in irgendwelche Industrieerzeugnisse. Vielmehr wird hier Grundlagenforschung betrieben. Es geht also darum, Fragen aufzuwerfen und mit wissenschaftlichen Methoden zu beantworten. Die Studenten sollen das Handwerkszeug dafür bekommen, um später als Ingenieure technische Probleme in der Industrie lösen zu können.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2017
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