Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "In den Startlöchern":Lächeln im Grenzbereich

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Patricia Fritz aus Gräfelfing schwimmt bei den Synchronschwimmerinnen der Isarnixen ganz vorne mit. Die 14-Jährige liebt die Teamarbeit und wünscht sich mehr Anerkennung für ihren anspruchsvollen Sport.

Von Jana Treffler, München/Gräfelfing

"Die Knie durchstrecken! Haltet die Formation!", Trainerin Claudia Koller steht in der Schwimmhalle in Fürstenried West und klopft mit einem Löffel auf den Beckenrand. So können die acht Mädchen, die im Becken ihre Choreografie üben, auch Unterwasser den Takt hören. Mal sieht man nur Arme, dann wieder nur Beine, dann löst sich alles in einem großen Platschen auf.

Takt und ein Gefühl für Musik, das seien zwei wichtige Voraussetzungen für Synchronschwimmerinnen, erklärt Patricia Fritz aus Gräfelfing. Die 14-Jährige ist seit fünf Jahren bei den Isarnixen, den Synchronschwimmerinnen des Damenschwimmvereins München und hat es vor zwei Jahren sogar in den Deutschlandkader geschafft. Mittlerweile waren sie und ihr Team schon zwei Mal deutscher Meister und bei internationalen Turnieren liegen sie auch immer weit vorn. "Olympia wäre natürlich auch irgendwann ganz cool", sagt die junge Schwimmerin.

Dafür strengt sie sich ordentlich an: sieben Mal die Woche geht sie ins Training, fünf Mal drei Stunden und am Wochenende auch mal bis zu sechs Stunden lang. Die Mädchen üben schließlich nicht nur Formationen ein, sondern müssen auch Kraft und Ausdauer trainieren. Einmal die Woche gehen sie Bodenturnen, eine willkommene Abwechslung für die Sportlerinnen, sagt Trainerin Koller, selbst einst Synchronschwimmerin im Leistungsbereich.

Diesmal beginnt das Training in der prallen Sonne mit einer Trockenübung: Eine Formation wird eingeübt, bis sie sitzt, aus dem Handylautsprecher dröhnt Beyoncé. "Mit altmodischer Musik bräuchte man den Mädchen gar nicht kommen", erzählt Koller. Die Choreografien in der Gruppe zu acht werden für die Kür eines Wettkampfs einstudiert. Der andere Teil ist die Pflicht, also technische Figuren wie Schrauben oder Handstände, die langsam und ohne Musik vorgeführt werden. Am Ende vergeben sieben Wertungsrichter bis zu zehn Punkte für die Gruppen, Duette oder Soli.

Für Patrizia ist Synchronschwimmen das Höchste. Am liebsten mag die Schülerin, wenn man genau auf die anderen achten und sich vollkommen aufeinander einstellen muss. Nur dann sieht es am Ende aus, wie es soll. Außerdem werde es nie langweilig, anders als beim normalen Schwimmen, wo man alleine die Bahnen auf und ab ziehe, erzählt Patrizia, die vor ihrer Isarnixen-Karriere in einem normalen Schwimmverein war.

Das Einzige, was die Neuntklässlerin nervt, ist, dass ihre Sportart unterschätzt wird. Viele dächten, Synchronschwimmen sei ein Kinderspiel. "Das liegt daran, dass wir immer lächeln müssen, dabei stirbt man da gerade vor Anstrengung." Die Mädchen müssen für ihren Sport körperlich topfit sein und höchste Disziplin an den Tag legen. Jeden Tag Pizza oder Burger zu essen, ist für Patrizia jedenfalls keine Option. Sie achtet auf ihre Ernährung und trinkt lieber Smoothies als Cola.

Dabei kamen ihr schon Zweifel. Nachdem sie ein Jahr lang Solo geschwommen war und das nicht so gut lief, dachte sie ans Aufhören. "Ich habe mich gefragt, wieso mache ich das eigentlich, ich erreiche doch eh nichts", sagt Patrizia. Aber ihre Freunde und Eltern hätten sie ermutigt. Die Trainerinnen bestätigen, dass die Mädchen Phasen hätten, in denen sie sich schwer motivieren könnten. "Das passiert vor allem, wenn es in der Schule mal nicht so gut läuft. Und man merkt es daran, dass die Scheu, ins kalte Wasser zu steigen, wieder größer wird." Um das zu vermeiden versuchten sie, den Mädchen eine Familie zu bieten, sie verbrächten ja auch etliche Stunden zusammen. Diesmal sieht es nicht so aus, als hätte irgendwer Scheu vor dem Wasser. Eine nach der anderen springt kerzengerade ins Becken, und nachdem die "Isarnixen" sich einen guten Kilometer lang eingeschwommen haben, schauen nur noch gestreckte Fußspitzen und lächelnde Gesichter unter Schwimmmützen aus dem Wasser. Synchron, versteht sich.

Meerjungfrauen

Der Vorläufer des Synchronschwimmens im frühen 19. Jahrhundert hieß Reigenschwimmen und war eine reine Männersportart. Frauen waren komplett ausgeschlossen. Erst im Jahr 1923 wurde der erste Wasserballett-Club für Frauen in Chicago gegründet, der mit seinem Stück "Modern Mermaids" - deutsch: Moderne Meerjungfrauen - weltweit bekannt wurde. 1934 wird dann bereits erstmals von "Synchronized Swimming" gesprochen, 1945 finden erste Wettkämpfe im Kunstschwimmen statt. Bei den Olympischen Spielen im Jahr 1984 sind erstmals die Disziplinen Solo und Duett vertreten, die dann aber wieder ausgeschlossen und durch die Mannschaft ersetzt werden. Seit 2000 werden die Kategorien Mannschaft und Duett bei Olympia ausgetragen. jtre

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Quelle:
SZ vom 17.08.2016
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