Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Ein Alltag voller Sorgen

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Zwei der drei Kinder einer Familie in Taufkirchen leiden an unheilbaren Gen-Defekten. Schulden müssen abbezahlt werden. Dabei täte allen eine kleine Freude gut, ein Ausflug zum Beispiel

Von Christina Hertel, Taufkirchen

Auf Fotos an der Wand sieht man glückliche Gesichter. Einen blonden Jungen mit Schultüte und Zahnlücke, Babys mit Pausbacken, die Familie breit grinsend beim Fotografen: Vater, Mutter, zwei Söhne, eine Tochter. Doch diese Bilder sind nur Momentaufnahmen zwischen vielen dunklen Stunden. Der letzte gemeinsame Ausflug ist Jahre her. Das letzte Mal, dass die Mutter ohne Sorgenfalten in den Spiegel schaute, auch. Sie freue sich über eine Spende und gleichzeitig schäme sie sich, Geld anzunehmen, sagt die Mutter. "So sehr." Die Familie soll deshalb in diesem Text Schuster heißen. Und die Mutter Monika.

Monika Schuster hat drei Kinder, acht, zehn und zwölf Jahre alt. Alle vier sitzen am Esszimmertisch in ihrer Wohnung in Taufkirchen. Das Haus ist ein Klotz aus Beton, das Klingelbrett so groß, dass man erst lange nach dem richtigen Namen suchen muss. Der Familie geht es nicht gut. Alle fünf - der Vater, die Mutter, die drei Kinder - sind krank. Dass es jemals wieder besser werde, sei nicht abzusehen, sagt Monika Schuster. "Wir sind froh, wenn nicht alles noch schlimmer wird."

Ihr ältester Sohn Martin war gerade fünf, als Monika Schuster ihr zweites Kind bekam: Hannes. Schuster merkte schnell, dass etwas mit dem Baby nicht stimmte. Hannes bekam bräunliche Flecken auf dem ganzen Körper. "Ich hatte Angst, dass er Hautkrebs haben könnte." Ärzte untersuchten sein Blut, fanden heraus, dass er an Neurofibromatose leidet, einem Gendefekt. Bei der Krankheit bilden sich Tumore am zentralen Nervensystem, also im Gehirn und Rückenmark. Im Durchschnitt bekommt nur einer von 40 000 Menschen in Deutschland die Krankheit. Denn sie ist nicht ansteckend, sondern wird vererbt. Der Körper von Hannes' Vater war sein ganzes Leben lang voll mit Pusteln. Die Ärzte dachten, es sei eine Allergie. Er hielt Diät, die Pusteln blieben. Irgendwann gewöhnte er sich daran. Dass er eine Krankheit in sich tragen könnte, daran dachte er nicht. Denn anders als bei seinen Kindern blieben die Pusteln das einzige Symptom.

Als die Ärzte Monika Schuster die Diagnose nannten, war sie gerade schwanger - mit Lilli, ihrem dritten Kind. "Die Ärzte", sagt Schuster, "klärten mich nicht richtig auf. Sie sagten, es passt schon alles." Hannes sei auch nach der Diagnose nicht weiter untersucht worden. Doch als er eineinhalb Jahre alt war, habe er begonnen zu klagen: "Mama, mein Kopf tut so weh." Eines morgens beim Frühstück fiel er vom Stuhl und konnte nicht mehr aufstehen. Erst jetzt hätten ihn Spezialisten untersucht, sagt Schuster. Sie stellten fest, dass er einen Gehirntumor hat, fünf mal sieben Zentimeter groß.

Inzwischen ist Hannes zehn Jahre alt. Er hat den Gehirntumor immer noch. Geheilt werden könne ihr Sohn nicht, sagt seine Mutter. Ziel sei, den Tumor am Wachsen zu hindern. Dafür musste der Junge bereits drei verschiedene Chemotherapien machen. Seit August 2016 bekommt er wieder eine. Auch in seinem Rücken haben die Ärzte einen Tumor entdeckt. Jede Woche muss Hannes deshalb ins Krankenhaus. Wenn er spricht, fällt es schwer, ihn zu verstehen. Hannes schielt, muss eine Brille mit dicken Gläsern tragen.

Auch seine kleine Schwester Lilli hat den Gendefekt. Sie hat einen Tumor am Sehnerv. "Man kann ihn nicht operieren, sie wäre sonst garantiert blind", sagt Schuster. Alle drei Monate müssen Ärzte kontrollieren, ob der Tumor wächst. Martin, der Älteste, hat die Krankheit nicht. Trotzdem leidet er. Als sein kleiner Bruder vergangenes Jahr wieder mit einer Chemotherapie anfangen musste, sei er zusammengebrochen, sagt Schuster. Die ganzen Jahre vorher drehte sich alles um den kleinen Bruder. "Ich habe gar nicht gemerkt, dass ihn das so mitgenommen hat. Mir fiel es so schwer, ihn zu trösten. Ich war ja selber fertig." Einmal die Woche geht Martin jetzt zum Psychologen. Auch Monika Schuster leidet unter einer Depression. Arbeiten kann sie zur Zeit nicht.

Ihr Mann ist 69 und schon in Ruhestand. Aber weil das Geld nicht reicht, arbeitet er wieder als Konditor, vier, fünf Stunden am Tag. Trotzdem ist das Geld knapp. "Wir verzichten auf frisches Gemüse und kaufen lieber Tiefkühlprodukte", sagt Schuster. An Freizeitaktivitäten sei nicht zu denken. Einmal war die Familie im Legoland, aber das sei schon lange her. Die Gegend rund um München ist teuer - und die Familie hat auch Schulden gemacht. Im Mai zog sie in eine Sozialwohnung. In der alten Wohnung hatte sich Schimmel gebildet. Die meisten Möbel seien deshalb nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Auch wenn ihnen der Vermieter beim Umzug half, seien am Ende 6000 Euro Schulden zusammen gekommen. Das Wichtigste sei, diese loszuwerden. Um dann endlich mal wieder etwas miteinander zu unternehmen. "Die Kinder würden so gerne wieder ins Legoland." Denn die schönen Erinnerungen tragen einen leichter durch schwere Tage.

(In einer früheren Fassung hieß es, der Vermieter habe der Familie beim Umzug nicht geholfen. Das ist falsch. Er hat die Familie sogar finanziell unterstützt.)

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Quelle:
SZ vom 02.12.2017
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