Süddeutsche Zeitung

SPD:Mit Schulz ist alles anders

Skandale und miserable Umfragewerte machen der SPD in Bayern schwer zu schaffen. Von der Kanzlerkandidatur des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments erhoffen sich die Mitglieder im Landkreis München eine Trendwende.

Protokolle von: Ulrike Schuster

Wer sich politisch einsetzt, muss immer mit Gegenwind rechnen. Wer sich für die SPD in Bayern einsetzt, muss Orkane aushalten, in jüngster Zeit besonders böse. In aktuellen Umfragen würden ihr gerade einmal 14 Prozent der Bayern die Stimme geben; dazu die Skandale um den Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs und den Landtagsabgeordneten Linus Förster.

Doch dann, der Dienstagabend: Martin Schulz wird Kanzlerkandidat. Ist jetzt alles anders? Macht es mit ihm wieder Spaß, SPD-Mitglied zu sein und für die Sozialdemokratie zu kämpfen? Die SZ hat jene gefragt, die Schulz für die Bundestagswahl am 24.September dringend braucht: die Mitglieder an der Basis, auf die es im Wahlkampf ankommt.

Katharina Dworzak, 33, Zweite Bürgermeisterin in Haar: Leider geht die SPD als Juniorpartner in der Großen Koalition ziemlich unter. Sie hat zu wenig Profil, obwohl sie so viel vom sozialdemokratischen Programm zu Realität gemacht hat. Und nach außen wirken wir oft zerstritten. So sind wir Sozis eben, schaffen uns die Probleme selbst, weil wir um die richtigen Inhalte kämpfen. Diese Spannung aus Anstrengung und Aufregung macht ja auch enormen Spaß, trotzdem, wir müssen geschlossener auftreten. Auch deshalb ist Martin Schulz der richtige Kanzlerkandidat. Er kann die Partei zusammenzuführen. Nachdem die europäische Idee von verschiedenen Seiten in Frage gestellt und angegriffen wird, ist es das richtige Zeichen der SPD. Gerade bei einem US-Präsidenten Trump und den global zunehmend auftretenden rechten Strömungen ist ein vereintes und starkes Europa sehr wichtig, und dafür steht Martin Schulz wie kaum ein anderer. Ich freue mich auf einen Wahlkampf für die Demokratie. Als ich in der Wahlnacht am 8. November Trumps Sieg im TV verfolgte, schaute ich auf meinen kleinen Joshua und dachte: "Jetzt erst recht. Für dich will ich für eine andere, eine bessere Welt kämpfen."

Dietrich Wax, 78, Gemeinderat in Ottobrunn: Es steht elend im Moment um die SPD, doch gerade dann, wenn der Wind rau ist, gehe ich nicht von Bord, ich halte dem Freund ergeben die Stange. Jetzt, mit Martin Schulz, hat sie auch endlich die Möglichkeit zu beweisen, dass sie immer noch die bestmögliche Partei ist. Mindestlohn, Rente mit 63, die Tengelmann-Lösung - alles unsere Errungenschaften. Bloß, das kriegt keiner mit, wir verkaufen uns miserabel. In Sachen Selbstmarketing und Überzeugungskraft ist Schulz nichts vorzumachen. Auch deshalb halte ich die Entscheidung von Sigmar Gabriel für absolut richtig, sie hat meinen höchsten Respekt, er hat damit Größe bewiesen. Herr Gabriel steht für die Große Koalition. Eine Neuauflage ist weder der Bevölkerung noch den Genossen zu vermitteln. Es wird also eine neue politische Ausrichtung der SPD geben. Im Bundestag gibt es bereits eine linke Mehrheit. Das sollte nach der Wahl in Regierungshandeln umgesetzt werden. Mit Martin Schulz als Kanzlerkandidaten müssen die konservativen Parteien sich warm anziehen.

Gregor Röslmaier, 27, Gemeinderat in Neubiberg: Mir macht die SPD richtig viel Spaß, selbst im Moment. Der Ortsverein hier ist der Wahnsinn, ein brutaler Zusammenhalt, die meisten sind Freunde. Kommunal sind wir super aufgestellt, aber auf höherer Ebene läuft das Spiel nach anderen Regeln, trickreicher, hinterfotziger. Da lehnt die CSU einen tollen Antrag der SPD ab, um ihn dann schier wortgleich ein paar Wochen später selbst einzubringen. Und sie liefern die bessere Show. Das ärgert mich. "Warum zur Hölle mach ich das eigentlich?", denke ich eigentlich nur dann, wenn ich auf die Bundes-SPD blicke. Zu wenig Persönlichkeiten, zu wenig echte Charaktere, die einem Lust auf Streit und Nachdenken machen. Aber jetzt kommt Schulz, und der steht für einen Neuanfang, den brauchen wir dringend. Einer, der so integer ist wie er, hat das Potenzial, die SPD zu einen. Ich hatte heute pure Motivation im Bauch. Wir werben im Landkreis gerade mit einer Mitgliederkampagne - ich glaube, ich gehe gleich noch ein paar Flyer austragen. Es fühlt sich wieder nach Hoffnung an, wenn die Kollegen auf einmal überlegen, auch SPD zu wählen, und CSU-Politiker auf Facebook schreiben, wie schlimm Schulz ist. Mit ihm kommt die Bundes-SPD wieder über 30 Prozent, versprochen.

Antje Kolbe, 74, Gleichstellungsbeauftragte der SPD in Unterschleißheim: Ich bin eine linke Socke. Die SPD-Momentaufnahme ist schlecht, die Umfragewerte verheerend, aber Herrgott, das kennen die Sozis in Bayern seit 1945 nicht anders. Was hilft, ist der Blick nach innen, in die Gemeinde, besonders in Unterschleißheim. Wir stellen den Bürgermeister, da geht enorm viel voran, ein Spitzen-Gefühl, das mich treibt. Mit einer Persönlichkeit wie Martin Schulz an der Spitze bin ich wieder stolz, SPD-Mitglied zu sein. Ein qualifizierterer Politiker als Martin Schulz fällt mir nicht ein, seine Umfragewerte sind wesentlich höher als die von Gabriel, trotzdem wird er Merkels Mutti-Faktor wohl nicht aushebeln können. Schade. Er wäre ein hervorragender Kanzler in lausigen Zeiten und hätte dazu auch noch mehr Gewicht als die Kanzlerin in der EU. Auf alle Fälle wird es ein spannender Wahlkampf und der Infostand-Dienst wird dank Schulz sicher angenehmer. Schon das ist doch was!

Sabine Fister, 39, Gemeinderätin aus Unterföhring: Gabriels Entscheidung verdient großen Respekt. Mit dem Verzicht auf die Macht erspart er seiner Partei noch mehr Unbill, die SPD neigt ja dazu, sich selbst zu zerlegen. Persönlich freue ich mich über die Kandidatur von Martin Schulz, ich glaube, mit ihm wird der Wahlkampf richtig spannend, da ist ein ordentliches Ergebnis drin. Er ist ein Charakterkopf. Einer, dem die Menschen zutrauen, die Probleme im Land zu lösen. Beim Regensburger Skandal-OB dachte ich nur: "Wie kann man so blöd sein und glauben, dass korruptes Verhalten 2017 nicht auffliegt?" Klar färbt das auf die Partei ab und treibt uns nicht die Wechselwähler in die Arme. Als ich 2007 in die SPD eintrat, hieß es von allen Seiten: "Bist du verrückt, in die Politik und dann noch zur SPD. In Bayern doch eh wurscht." Heute höre ich immer öfter: "Toll, dass du das machst, das ist sauwichtig." Das motiviert ungemein, ohne etwas Anerkennung würde das niemand machen. Schaue ich zu Trump, den Briten und in die Türkei, ist der Gedanke "Zu Hause auf der Couch mit den Kindern wäre jetzt aber auch schön" rasch weggewischt.

Kevin Cobbe, 21, Student und Sprecher der Jusos München-Land, Aschheim: In Bayern sind die Roten die Defensive gewohnt, gerade geraten sie immer tiefer hinein, aber auf jeden Trend folgt auch der Anti-Trend. Der heißt seit Dienstag Martin Schulz. Er ist nicht nur mein Wunschkandidat, sondern auch der der allermeisten Jusos, sympathisch und kämpferisch. Für mich bedeutet das, dass ich mich noch mehr im Wahlkampf engagieren werde, weil wir als SPD nun wieder eine realistische Chance auf ein sehr gutes Wahlergebnis haben. Ich halte unser Potenzial für gewaltig. Mit 150 Juso-Köpfen werden wir uns vehement gegen rechts stellen. Ich bin nicht naiv genug zu glauben, alle zurück auf liberal-demokratischen Boden holen zu können. Aber die Diskussionswilligen und -fähigen dann doch. Und ich bin überzeugt, das ist die Mehrheit.

Eva Maria Schlick, 69, Gemeinderätin in Putzbrunn: In jüngster Zeit dachte ich schon hin und wieder: Was, wenn uns die AfD in Bayern überholt? Die Umfragewerte blasen wirklich keinen Wind ins Segel für die Bundestagswahl. Aber jetzt, jetzt sitzt Schulz am Ruder, und das macht alles anders. Als ich die Nachricht im Radio hörte, sagte ich "Gott sei Dank Schulz". Mit Gabriel hätten wir keine Chance gehabt, von Anfang an aussichtslos. Schulz gibt Aufwind, der ist sympathisch, spricht klar und gerade heraus, bei ihm weiß man, woran man ist, keine Phrasen, keine Hülsen. Ein Riesenunterschied zu Merkel. Und ihm glaube ich auch, dass er tatsächlich an das glaubt, was er sagt. Das macht mir richtig Lust, für die SPD zu werben. Ich habe Politik immer als Privileg empfunden, für das ich mich neben Haushalt, Kindern und Job einsetzen will. Gerade als Verkäuferin. Ich wollte Flagge zeigen und mich nicht wegregieren lassen. Einfache Arbeiter brauchen keinen falschen Respekt vor studierten Autoritäten zu haben. Wer nicht mitdenken will, landet bei der AfD.

Matteo Dolce, 27, Gemeinderat in Taufkirchen: Viel mehr als um die SPD sorge ich mich um unser Parteien-System. Das Bewährte und das Etablierte werden gerade schwer durch den Schmutz gezogen, die Populisten sind Rattenfänger mit einfachen Antworten. Die Wirklichkeit ist nun mal anstrengend, Politik ist anstrengend. Wie oft habe ich schon Anträge geschrieben, die abgelehnt wurden. So ist das eben, am Ende steht der bestmögliche Kompromiss. Trotz allem habe ich enormes Vertrauen in die junge Generationen. Ich erlebe, dass dumpfe Parolen bei ihnen keine Chance haben, sie sehen die Dinge differenziert, sind zugänglich für Fakten und Argumente. Martin Schulz könnte eine Triebfeder sein, für mich ist er es. Er ist Sympathieträger und überzeugter Europäer, er hat ein ehrliches und besonnenes Auftreten. Zudem halte ich ihn für sehr glaubwürdig. Mit ihm lohnt sich der Wahlkampf erst richtig. Er ist eine Riesenchance für die SPD - um etwas Neues auszuprobieren und wieder zu sich zu finden.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2017
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