Süddeutsche Zeitung

Kreis und quer:Ein letztes Pfft!

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Dieses Jahr ist einfach zum In-die-Luft-Jagen - auf Nimmerwiedersehen.

Kolumne von Michael Morosow, Landkreis München

Unvergessen der Großvater von Freund Karl, der uns Kindern an Silvester mal zeigen wollte, wo der Hammer hängt. Einen selbstgebastelten Kracher, ach was, eine Bombe hielt er in der Hand und schwang sie aufreizend lange und offenbar in der Absicht, sie erst kurz vor der Detonation in die Luft zu schleudern. Wir rochen die Lunte und nahmen ein wenig Abstand von ihm, der dann tatsächlich den richtigen Zeitpunkt des Loslassens um Sekundenbruchteile verpasste. Die Häuser in der Umgebung blieben Gottlob stehen, seine Hand aber musste mit mehreren Stichen genäht werden. Unsere Bewunderung war ihm jedenfalls sicher. Diese Nacht ist es wieder so weit, dann versammeln sich die Sektlaunigen in Gärten, Hinterhöfen und auf der Straße zu festlichen Großsprengungen mit Knallkörpern der Marke "Hörsturz", mit denen man ganz gewiss auch kontrolliert Lawinen auslösen könnte. Gleichzeitig jagen sie Raketen in den Himmel, die sich nach kleineren Umbauten wahrscheinlich sogar bemannen ließen.

In alten Zeiten beließen es die Germanen beim Scheppern und Krach machen mit Schlagwerkzeugen, um in den Raunächten um den Jahreswechsel Dämonen und böse Geister abzuschrecken. Mit der Erfindung des Schwarzpulvers im Mittelalter hat sich diese Tradition schlagartig verändert. Lauter, greller, höher lautet seither das Motto jedes Jahresendfestes. Nun gut, die Dämonen und Geister sind auch heute noch unter uns, und um sie zu vertreiben, dazu reicht ein Tischfeuerwerk "Crazy Party" zum Preis von 2,99 Euro bei weitem nicht aus. Schon gar nicht das mickrige "Pffft", das man feucht gewordenen Knallfröschen entlocken kann. Wer böse Geister nachhaltig vertreiben und gleichzeitig dem Nachbarn zeigen will, wo der Hammer hängt, der muss tiefer in die Tasche greifen und zum Beispiel 119 Euro hinblättern für ein "Crown of light", dessen acht Feuerwerksbatterien binnen 160 Sekunden knapp zwei Kilogramm Effektmenge in den Himmel schießen.

Das Virus, der Krieg, die Erderwärmung und die angespannte Weltlage insgesamt dürften der Grund dafür sein, wenn nicht wenige Leute heuer zu großkalibrigem Feuerwerk gegriffen haben, um kurz nach "Dinner for one" und Käsefondue das ganze Jahr 2022 auf Nimmerwiedersehen in die Luft jagen zu können. Drei Tage hatten ambitionierte Sprengmeister Zeit, sich in Geschäften für den Jahreswechsel legal zu munitionieren, nachdem ihnen dies in den Vorjahren wegen eines Corona-bedingten Verkaufsverbots nicht möglich war. Dementsprechend groß war der Sturm zum Verkaufsstart am Donnerstagmorgen. Bei einem Blick auf die prall gefüllten Einkaufswagen hätte man annehmen können, die Leute seien nicht bei einem Discounter gewesen, sondern einem Sprengstoffgroßhandel.

Karls Großvater übrigens war ein Jahr nach dem schmerzlichen Zwischenfall wieder am Start, dieses Mal mit einer selbstgebastelten Rakete, die planmäßig abhob. Sie kam nicht mehr zurück. Wahrscheinlich hat sie die Umlaufbahn erreicht.

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