Süddeutsche Zeitung

Pullach:Der Funke springt nicht über

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Bei einer Online-Präsentation ihrer Pläne für den Ausbau des Chemiewerks in Höllriegelskreuth reden Unternehmensvertreter mögliche Gefahren klein. Kritiker sprechen von einer "reinen Show-Veranstaltung" und sehen wichtige Fragen weiter unbeantwortet

Von Michael Morosow, Pullach

In einer Online-Informationsveranstaltung hat das Pullacher Chemieunternehmen United Initiators am Montagabend erstmals seine Umbau- und Erweiterungspläne einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und sich Fragen von Bürgern aus Pullach, Baierbrunn und Grünwald gestellt. Das Urteil von einigen der 390 Teilnehmer insbesondere über das Format der Veranstaltung fällt hingegen vernichtend aus: Eine gute Selbstdarstellung des Unternehmens sei es gewesen, kritische Fragen seien nicht ausreichend erörtert worden oder erst gar nicht behandelt, "alle am Tisch waren in der Wolle gefärbt", ärgerte sich etwa anderntags der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) "Schutz des Lebensraumes der Haselmaus in Höllriegelskreuth", Christian Boeck. "Es war eine reine Show-Veranstaltung", sagte auch Bert Eisl, der Sprecher der lokalen Agenda.

An einem Tisch saßen als Vertreter der Gemeinde Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) und Bauamtsleiter Jürgen Weiß, United Initiators wurde vertreten von Geschäftsführer Andreas Rutsch und Werkleiter Kai Eckloff. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von der Moderatorin und Videojournalistin Eva Nusshart, die nach Meinung von Bert Eisl gewirkt hat, "als wäre sie eine Mitarbeiterin von United Initiators". Eine knappe Stunde der 90-minütigen Veranstaltung stand dabei im Zeichen von Berichten der Gemeinde- und Firmenvertreter zur aktuellen Situation, erst danach kamen die Teilnehmer zu Wort, wobei Themenkomplexe jeweils in einer Frage gebündelt wurden.

Als erster Baierbrunns Bürgermeister Patrick Ott (ÜWG), der denn auch gleich die Frage aller Fragen stellte: "Wie können Sie sicherstellen, dass es hier kein zweites Beirut geben kann?" Die Antwort fiel Werkleiter Eckloff leicht: In Beirut seien 2700 Tonnen Ammoniumnitrat in einem Raum gelagert worden, und das neben Feuerwehrwerkskörpern. In Pullach dagegen würden die Peroxide in 16 baulich getrennten Lagerkompartments mit je 35 bis 40 Tonnen gelagert, in weichen 25-Kilogramm-Kanistern abgefüllt, was die Sicherheit in erheblichem Maße erhöhe.

UI-Sprecher Rutsch und Eckloff hatten bereits in einer Statement-Runde zuvor ausreichend Gelegenheit, ihre Umbau- und Erweiterungspläne vorzustellen und zu erklären sowie den vielfachen Nutzen der Gemeinde hervorzuheben, unter anderem die Bereitstellung einer Fläche für den Wertstoffhof und den Isartaler Tisch durch die Firma. Was die geplanten Vorhaben des Chemieunternehmens anbelangt, steht für die Menschen im nahen Umkreis des Chemiewerks eine Veränderung im Zentrum ihres Interesses: die Erhöhung der Lagerkapazitäten von aktuell 1000 Tonnen auf 1600.

Wie gefährlich Peroxide tatsächlich sind, darauf sei nicht eingegangen worden, kritisiert Agenda-Sprecher Eisl. Die Firma verweist aber auch darauf, dass seit mittlerweile 18 Jahren kein schwerwiegender Störfall auf dem Betriebsgelände mehr eingetreten sei und seit 2002 insgesamt 100 Millionen Euro in Sicherheitsmaßnahmen gesteckt worden seien. Dazu werde er noch nachhaken, kündigte am Dienstag BI-Sprecher Christian Boeck an, weil ihm 250 Millionen Euro in Erinnerung seien, die United Initiators eigenen Angaben nach in die Sicherheit investiert haben will. Nachhaken wird wohl auch Eisl beim Thema Lkw-Verkehr und der Aussage von Kai Eckloff, die aktuell 50 Bewegungen täglich würden nicht ansteigen, sondern sogar um bis zu zwei Fahrten zurückgehen. Er glaube, aktuell seien es viel weniger als 50.

An mehreren Stellen der Veranstaltung kam das Thema Baurecht zur Sprache. Die Gemeinde besitze die Planungshoheit, die sie sehr ernst nehme, sagte Rathauschefin Tausendfreund, die zu Beginn des Live-Streams Wert auf die Feststellung legte, dass sie und ihr Bauamtsleiter nur als Gäste am Tisch säßen. Die Bürgermeisterin erklärte den Zuhörern, dass es sich um ein altes Baurecht der Firma handele und es sogar zwei rechtsverbindliche Bebauungspläne unterschiedlichen Datums gebe, einer 19, ein anderer 25 Jahre alt. Laut Beschluss des Gemeinderates vom September werden nun beide zu einem zusammengefügt, aber nicht in geänderter Form, sondern als Neuauflage. Dazu sei ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet worden. Eine immissionsschutzrechtliche Bewertung sei jedoch Aufgabe der Fachbehörden.

Gegen den Vorwurf, die Gemeinde würde im Windschatten von Corona still und heimlich das Projekt durchwinken, setzte sich Bauamtsleiter Jürgen Weiß zur Wehr. Er lieferte einen Tätigkeitsbericht, darunter Gespräche mit einer Reihe von Fachbehörden. Von Weiß kam auch eine Beurteilung der Gefährdungslage, die besorgte Anwohnern beruhigen könnte: "Wir können ausschließen, dass es Beeinträchtigungen geben kann, die sicherheitsrelevant für Baierbrunn, Pullach und Grünwald sind", sagte der Bauamtsleiter. Könne es unangenehm riechen, wollten Fragesteller aus Pullach und Baierbrunn wissen. Die letzte Beschwerde liege lange zurück, sagte Werkleiter Eckloff. Das stimmt laut Eisl nicht. "Die Geruchsbelästigung wird verharmlost, es ist noch nicht so lange her, dass es bei mir ganz schön nach Peroxid gestunken hat."

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SZ vom 09.12.2020
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