Süddeutsche Zeitung

Oberschleißheim:Mummenschanz hoch zu Ross

Lesezeit: 2 min

Immer am ersten Septemberwochenende bietet das Schloss Schleißheim die perfekte Kulisse für die große Reiter- und Kutschengala. Selbst das graue Regenwetter in diesem Jahr kann dem farbenprächtigen Spektakel nicht seinen Zauber nehmen

Von Sophie Kobel, Oberschleißheim

Es ist ein grauer und verregneter Tag, doch Nigel Whitings braune Lederschuhe glänzen makellos. Auch seine Bundfaltenhose sitzt wie angegossen und passt perfekt zu dem grünen Tweed-Jackett. Mit kritischem Blick geht er um eine schwarz-rot glänzende Kutsche herum und streicht mit der Hand über die Nüstern eines der vier davor gespannten Pferde. In Gedanken versunken rückt er seine Melone zurecht und weicht dabei elegant den auf dem Boden liegenden Pferdeäpfeln aus. Keine Frage: Dieser Mann hat ein Gefühl für Stil. Den braucht er auch an diesem Sonntagmittag, denn er ist Richter bei der historischen Reiter- und Kutschengala im Schlosspark Schleißheim.

Seit elf Jahren findet das Event statt, immer am ersten Sonntag im September. Der Schlosspark wirkt an diesen Tagen wie verzaubert. Wohin man auch geht, traben einem geschmückte Pferde und kostümierte Reiter entgegen. Im Südteil des Parks zeigt eine Gruppe aus Oberösterreich die Kunst des Reitens im Damensattel. Gegenüber in der Nordallee trabt die Kavallerie in grün-rot-weißen Uniformen auf und ab und im Osten vor Schloss Lustheim werden die historischen Kutschen begutachtet.

"Priorität hat die pferdegerechte Bespannung."

"Dieses Gespann bekommt nur ein Ausreichend, also 10 von 20 Punkten", sagt Whitings zu seiner Assistentin, die alles auf einem Klemmbrett notiert. Der Fahrer der rot-schwarzen Kutsche hat seiner Meinung nach einiges falsch gemacht: "Das Mundstück war zu locker eingestellt, es klappert die ganze Zeit an den Zähnen des Pferdes. Das ist sehr unangenehm für das Tier." Außerdem gibt es Punktabzug für das unruhige Tänzeln der Pferde, denn das ist gefährlich im Straßenverkehr. "Ein Kutscher muss seine Pferde ruhig halten können", erklärt Whitings mit stark britischem Akzent.

Bei dem Spektakel im Schleißheimer Schlosspark kommt es darauf an, dass Pferde, Reiter und Gefährte zeitgenössisch korrekt gekleidet und geschmückt sind

Stramm sitzen die Reiter zu Ross.

Kutschen, Kavallerie und Kostüme: Die Manieren sind perfekt einstudiert, die Frisur sitzt.

Ein zaghafter Knicks, ein schüchternes Kichern - die Darsteller bleiben sicher im korrekten Duktus.

Der gebürtige Londoner lebt seit 30 Jahren in Deutschland, hauptberuflich ist er Reitsportsattler und gibt Kurse im Kutschenfahren. Den Sport betreibt er schon sein Leben lang und der jährliche Posten als Richter im Schleißheimer Schlosspark bereitet ihm große Freude. "Priorität hat die pferdegerechte Bespannung, außerdem die allgemeine Sicherheit und dann natürlich auch der Stil. Schließlich ist es eine historische Kutschengala", erklärt Whitings.

Und das bedeutet: Die Kutsche sollte vor 1945 gebaut sein und möglichst nur aus originalen Teilen bestehen. Außerdem muss der Dresscode der jeweiligen Kutsche angepasst sein. Ob in eleganter Tracht oder im Frack, das bleibt den Kutschern selbst überlassen, aber Whitings bewertet streng: "Wenn eine Krawatte schlampig gebunden ist oder die Pferde farblich nicht zusammen passen, gibt das Punktabzug", sagt er und rückt seine ovale Brille zurecht.

Nach dem Vierer-Araber-Gespann kommen zwei kleine Shetlandponys. Whitings lächelt und sagt: "Nun ja, die sind einfach niedlich. Und der absolute Publikumsliebling, deshalb lassen wir sie durch. Eigentlich ist der Kutscher aber zu groß", urteilt der Punktrichter. Dennoch: Von 20 möglichen Punkten gibt es für das Gespann 17.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2018
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