Süddeutsche Zeitung

Oberschleißheim:Hoch zu Ross zum Schloss

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Nach der Corona-Zwangspause verwandelt die historische Reit- und Kutschengala die barocke Gartenanlage in Schleißheim wieder in eine höfische Kulisse.

Von Laura Richter, Oberschleißheim

Die Sonne spiegelt sich im Mittelkanal des Schleißheimer Schlossgartens. Durch die Wasserfontänen inmitten symmetrischer Pflanzenbeete schmückt eine höfische Kulisse das Neue Schleißheimer Schloss. Zurück in die Zeit, als Kurfürst Max Emanuel wohl mit seiner langlockigen Perücke und der blauen Bayernschärpe durch die Anlage wanderte. Stolze Stuten und Hengste ziehen verzierte Kutschgespanne hinter sich her. Die Kutsche steht stellvertretend für das menschliche Streben nach Mobilität. Schon die Römer erfanden gefederte Reisewagen, mit dem Niedergang ihres Reiches ging die Technik jedoch wieder verloren. Die ersten Kutschen, so wie sie heute bekannt sind, stammen aus dem Ungarn des 15. Jahrhunderts.

"Ohne Mensch kein Pferd, ohne Pferd kein Mensch"

Die Fuhrwerke, die es bei der zwölften Ausgabe der Reiter- und Kutschengala zu bestaunen gab, entstammen allerdings der Zeit vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Hunderte Gäste waren am Sonntag nach Oberschleißheim gekommen, um sich die altertümlichen Gespanne und deren herausgeputzten Insassen anzusehen. Heuer stand die Gala unter dem Motto "Kulturgut Pferd". Die Tiere waren über Jahrhunderte essenziell für die menschliche Entwicklung: als Arbeitskraft, Fundament für Mobilität und militärische Aktivitäten, aber auch als Mittel der Selbstdarstellung. "Ohne Mensch kein Pferd, ohne Pferd kein Mensch", fasst der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) die geschichtliche Verwobenheit des Lebens der Menschen und der Pferde überspitzt zusammen. Für seine Ode an das Kulturgut Pferd erntet der Schirmherr der Veranstaltung den Applaus der reitbegeisterten Zuschauer.

Ganz im Stile des blauen Königs konnten diese sich mit einer venezianischen Gondel auf dem Kanal des Schlossgartens spazieren fahren lassen. Denn Max Emanuel hatte seinerzeit Kanäle von München über Schleißheim bis nach Dachau ausheben lassen, um sich in einer Gondel umherkutschieren zu lassen, wie Hofgartenbetriebsleiter Alexander Bauer erzählt. Auch die Reiterinnen im Damensitz, in dem das Reiten anspruchsvoller ist als in der herkömmlichen Position, machten Eindruck bei den Schaulustigen. Als die historischen Kavalleristen dann noch Lanze, Degen und Revolver zückten, wurden massenhaft Handys aus den Hosentaschen hervorgezogen, um die Szenerie festzuhalten.

Dieter Rügemer vom Bayerischen Reit- und Fahrverband hatte 2008 die Idee zu der Veranstaltung und organisiert sie seither. "Drei Jahre musste die Gala nun erst wegen eigener Krankheit und dann wegen der Pandemie ausfallen. Heute haben wir gezeigt, dass wir es noch können", erzählt der 82-Jährige stolz. Passend zu diesem herrlichen Schloss sei es ihm eine Herzensangelegenheit, die Besucher für die Pferde und die historischen Kutschen zu faszinieren.

Angelika Oeckerath hat sich für das Event in eine gewohnte Kostümierung geworfen. Unter der mintgrünen Rokoko-Robe trägt sie einen Reifrock, in dem zwei eingenähte Kissen für die bekannte kegelförmige Hüfte sorgen. Die 69-Jährige ist Mitglied im Kulturverein "Freunde von Schleißheim" und tritt gemeinsam mit den übrigen 15 Mitgliedern in gepuderter Perücke und mit aufgemaltem Leberfleck bei Barock-Veranstaltungen im Schleißheimer Schloss auf. "Wenn Barockkonzerte gespielt werden, flanieren wir durch die Gänge des Schlosses." Zu ihrem 60. Geburtstag hatte sie sich damit einen langjährigen Traum erfüllt: einmal im Rokoko-Kleid im Schleißheimer Schloss auftreten. Das gefiel ihr so gut, dass sie dabei geblieben ist. Zur großen Freude einiger Besucher, die ohne ein Foto mit der authentischen Hofdame nicht nach Hause wollen.

Der 1930er-Schlager "Adieu, mein kleiner Gardeoffizier" läutet mit der Schlussparade den krönenden Abschluss des royalen Tages ein. Die Reiter dürfen mit ihren Kutschgespannen noch zwei Ehrenrunden durch die Schlossanlage ziehen. Mit ein bis fünf Pferdestärken ausgestattet zücken die Herren vor dem Neuen Schleißheimer Schloss ihren Zylinder. Die Damen winken mit einer leichten Drehung des in Seidenhandschuhen versteckten Handgelenks; in der anderen Hand bewahrt ein Sonnenschirm die königliche Blässe.

Organisator Rügemer zieht sich aus der Verantwortung zurück

Das Highlight des Tages war für viele Besucher das kleinste Gespann, gezogen von drei Shetlandponys. "Die Shettis waren zugegebenermaßen sehr süß", sagt Thomas Hartl, ehrenamtlicher Leiter der Gala. Welches Gespann ihm am besten gefallen hat, verrät er aber nicht, als Kutschenbeauftragter müsse er objektiv bleiben. Der "Neuanfang" sei gut geglückt und die Gala ganz ohne Zwischenfälle unter den Pferden über die Bühne gegangen, sagt Hartl. "Das zeigt die Disziplin der Reiter, für die das Wohl ihrer Tiere an oberster Stelle steht." Einem jungen Hengst habe man den Stress angemerkt, dies sei aber bei den viele Zuschauern und dem heißen Wetter für ein unerfahrenes Pferd nicht unüblich.

Die Faszination für die Tiere merkt man Hartl an, er selbst hat innerhalb von vier Monaten seinen Kutschenführerschein abgelegt und lässt sich seitdem gerne durch den Englischen Garten ziehen. "Wenn ich über den Elisabethplatz dem Sonnenuntergang entgegen fahre, fühlt sich die Seele wie frisch geduscht." Organisator Dieter Rügemer wird die Veranstaltung im nächsten Jahr nicht mehr in offizieller Rolle begleiten. Wer die Organisation dann übernimmt, ist noch unklar. Fest steht aber, dass auch in den kommenden Jahren historische Kutschen durch das barocke Ambiente des Schleißheimer Schlossparks fahren sollen.

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