Süddeutsche Zeitung

Neubiberg:Zwischen Bürogeflüster und Hofmusik

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Die Neubiberger Spielzeit wartet mit Vielfalt auf - und nicht nur das Kulturteam freut sich auf lange vermisste Liveerlebnisse

Von Udo Watter, Neubiberg

Nicht alle Aphorismen Nietzsches sind in unserem Zeitalter der Achtsamkeit noch auf der Höhe ("Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!"), aber sein Bonmot "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum" ist zeitlos gut. Mit Blick auf die vergangenen Monate des coronabedingten, kulturellen Leerlaufs könnte man präzisieren: "Ohne Livemusik ist das Leben ein Irrtum". Streamingangebote sind eben kein adäquater Ersatz für echte Konzerte, zumal die Protagonisten dabei Gefahr laufen, sich auf Dauer unter Wert zu verkaufen - von beschäftigungslosen Bühnen- und Tontechnikern ganz zu schweigen.

Jetzt laufen vielerorts die Veranstaltungen wieder an, unter eingeschränkten Bedingungen zwar - aber lieber eine suboptimale Konzertatmosphäre als gar keine. Auch die Neubiberger Kulturamtsleiterin Andrea Braun hat mit ihrem Team ein umfangreiches Programm auf den Weg gebracht, im Frühjahr abgesagte Veranstaltungen werden nun im Herbst und Winter stattfinden, Neuentdeckungen ergänzen das Angebot. Klar gelten die üblichen Maßnahmen - Maskengebot beim Einlass, Bestuhlung auf Abstand und mit fest zugeteilten Plätzen, Aufnahme der Kontaktdaten, vorerst kein Ausschank in der Pause und ein zeitlich entzerrter Einlass - aber das Team des Kulturamts ist dennoch erleichtert, dass der Betrieb wieder starten kann: "Nach sechs Monaten ohne Veranstaltungen und meist ohne Einnahmen ist die Kulturlandschaft in Gefahr", warnt Braun und fügt hinzu: "Das Internet ersetzt kein Live-Erlebnis." Natürlich denkt sie dabei besonders an Livekonzerte, und von denen haben die Neubiberger in der neuen Saison einige im Angebot: das Gastspiel des Jazzpianisten Walter Lang mit Thomas Markusson (Bass) und Magnus Öström (Drums) aus Schweden am 30. September in der Aula der Grundschule verspricht spannende Klangerlebnisse - das Trio wandelt versiert zwischen diversen Genres, lyrischen und expressiven Klängen, zwischen eher intellektuellem Jazz und Unterhaltung.

Großartige musikalische Grenzgänger, welche neue bayerische Volksmusik mit traditionellen Klängen aus vielen anderen allen Weltgegenden kombinieren und dazu noch lokale Helden, sind die Mitglieder der Unterbiberger Hofmusik. Am 18. Oktober präsentieren sie in der Grundschule ihr Programm "Dahoam und Retour." Das gleichnamige Album schaffte es im Frühjahr 2020 auf die Bestenliste der deutschen Schallplattenkritik. Ein attraktives Konzert für Klassikfreunde dürfte der Auftritt des Klavierquartetts Janke am 14. Januar sein. Die vier Geschwister aus deutsch-japanischem Elternhaus verfolgen alle eine Solistenkarriere, treten seit frühester Kindheit aber auch als Ensemble auf. Im renovierten Haus für Weiterbildung werden sie Werke von Johannes Brahms und Antonin Dvořák spielen.

Natürlich gibt es noch weitere Konzerte und generell nicht nur Angebote musikalischer Natur. Der Vorhang für die neue Saison in Neubiberg hebt sich am 19. September mit dem Auftritt des Wirtschaftskabarettisten Hans Gerzlich. Er rückt in seinem Programm "Bürogeflüster" den mächtigen Wirtschaftsbossen und dem Irrsinn des Büroalltags zu Leibe. Seine Vorstellung gehört zu den insgesamt achtzehn Terminen, aus denen Abonnenten in der kommenden Spielzeit wählen können und dabei 20 Prozent vom regulären Eintritt sparen. Ein origineller Höhepunkt der Spielzeit dürfte die Kleinkunstgala "Kultur am Gleis 3" am 10. Oktober sein. Durch den Abend führt die Poetry-Slammerin Carmen Wegge. Der Auftritt der Theatergruppe "Wirtshausmannschaft" mit ihrer bayerischen Inszenierung von "Der Gott des Gemetzels" (14. November), das Wiener Liedermacher-Duo Christoph & Lollo am 4. Dezember, die Münchner Kammerphilharmonie Dacapo am 13. Dezember sowie "Die Geschichte vom Soldaten" von Igor Strawinsky - aufgeführt durch das Trio Schmuck und den Schauspieler Gerald Friese im Februar versprechen inspirierende oder erbauliche Unterhaltung.

Schön, dass in Neubiberg aber nicht nur der klassische Bildungsbürger angesprochen wird, sondern auch jüngere Besucher. Neben schon erwähnten Angeboten wie der Kleinkunstgala im Gleis 3 oder auch dem Auftritt des Slam-Kabarettisten Bumillo ("Es muss rauschen") am 11. Januar 2021 gibt es etwa eine gemeinsame Aktion des Kulturamts mit dem Gymnasium am 21. Oktober: Angesagte Social-Media-Akteure werden dann einen Einblick in das Leben hinter YouTube, Instagram und TikTok geben, der Abend "Willkommen in Neuland - Ein Reiseführer für Digital Immigrants" ist freilich auch für Eltern und Lehrer interessant. Mit Mirko Drotschmann ist am 11. Februar ein weiterer Mann zu Gast, der sich professionell im Internet bewegt. Als "MrWissen2go" greift er auf YouTube Themen aus Politik, Gesellschaft und Geschichte auf. Er spricht darüber, welche Inhalte sich junge Leute von ihm wünschen, wie man ein gutes Erklärvideo macht und wie es sich anfühlt, die Bundeskanzlerin zu interviewen. Digital ist manchmal auch besser, aber schöner ist das Leben eben live.

Das Abo ist bis zum 15. Oktober buchbar. Abo-Formulare finden sich im Programmheft "Kaleidoskop" und an den Vorverkaufsstellen. Karten gibt es in der Gemeindebibliothek, Buchhandlung Lentner oder über www.muenchenticket.de. Das Programm ist online unter www.neubiberg.de. Der Kartenvorverkauf startet am Montag, 31. August.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2020
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