Süddeutsche Zeitung

Corona-Impfung beim Hausarzt:Wenn die Telefonanlage völlig überlastet ist

Lesezeit: 3 min

Die Menschen stürmen zu den Praxen, um gegen Corona geimpft zu werden. Die Hausärzte freuen sich, mithelfen zu dürfen. Doch auch das Tagesgeschäft muss weiterlaufen.

Von Martin Mühlfenzl, Unterhaching und Unterschleißheim

Am Handy ist Klaus Straßburg zumindest noch erreichbar. Die Telefonanlage in seiner Hausarztpraxis in Unterhaching aber hat dem Druck nicht mehr standgehalten; der Techniker seines Telefonanbieters ist gerade im Haus. "Völlig überlastet", hat der beim Check des Systems gesagt. "Wir dachten erst, die Anlage ist kaputt", sagt Straßburg. "Die Leitung ist wirklich keine Sekunde frei, jetzt werden wir drei neue Leitungen dazu buchen. Anders geht es nicht mehr." Die Menschen wollen zu ihren Hausärzten - und sie wollen gegen das Coronavirus geimpft werden.

Seit einer Woche liegt der Fokus bei der Impfkampagne nicht mehr vornehmlich auf den Impfzentren, sondern auf den bundesweit etwa 50 000 Hausärzten, die in ihren Praxen Vakzine verabreichen; im Landkreis beteiligen sich viele der etwa 140 niedergelassenen Hausärzte. Zu ihnen gehört der Unterschleißheimer Friedrich Kiener, der zuvor schon im Unterschleißheimer Impfzentrum tätig war, und eine einfache Rechnung aufstellt: 50 000 Mediziner, für jeden 20 Dosen am Tag, pro Monat 20 Millionen Impfungen - dann sei Deutschland in drei Monaten durchgeimpft. "Wenn die Politik frühzeitig mehr Impfstoff bestellt hätte, wären wir schon durch", sagt Kiener, der aber den Blick nach vorne richten will. "Es heißt ja, Ende April soll deutlich mehr Impfstoff kommen. Dann sollten auch andere Ärzte impfen, Kinderärzte, Betriebsärzte - jeder Arzt kann impfen."

Die Hausärzte agieren bei der Bekämpfung der Pandemie nun direkt an der Front und müssen mehr Aufgaben übernehmen: Sie wählen die zu Impfenden selbst aus, leisten die Aufklärung beim Impfen, beschaffen die Vakzine. Und sie sind mittendrin in der Debatte rund um den umstrittenen Wirkstoff Astra Zeneca. "Die permanenten Meldungen über Astra Zeneca führen schon dazu, dass viele Menschen, die ihn bekommen könnten, zu mir sagen, sie wollen ihn nicht", sagt Straßburg.

Auch Kiener stellt fest, das Vakzin leide unter vielen "negativen Credits". Verimpft aber bekommen die Hausärzte dennoch alle Dosen, der Andrang ist nach wie vor ungebrochen. Die Bestellung neuer Vakzine haben die Mediziner selbst in der Hand. Bis zu 50 Dosen pro Arzt können bei den Apotheken in der Woche geordert werden. Geliefert werden derzeit laut Kiener etwa 70 bis 80 Prozent der bestellten Menge. In seiner Praxis in Unterschleißheim mit vier Ärzten können so jede Woche theoretisch bis zu 200 Menschen geimpft werden. Kiener und seine Kollegen haben sich dafür entschieden, dies jeweils gesammelt ausschließlich freitags zu erledigen. Am Morgen werden dann die Spritzen aufgezogen, kühl gelagert und nach und nach verimpft. Mit kleinen Pausen, denn jeder Patient muss nach dem Pikser noch 15 Minuten zur Überwachung in der Praxis bleiben.

Die Patienten sind bekannt

Wer geimpft wird, legen die Hausärzte selbst fest. "Wir gehen über unsere Listen drüber und entscheiden dann", sagt der Oberhachinger Mediziner Oliver Abbushi. "Das Gute ist, wir kennen unsere Patienten, haben sie auf dem Schirm und wissen um ihre Vorerkrankungen." Natürlich sei der zusätzliche Aufwand für die Hausärzte und das medizinische Personal derzeit enorm, sagt Abbushi - im Gegensatz zur Impfung in den Impfzentren des Landkreises sei die bürokratische Belastung allerdings geringer. Im Impfzentrum müssen vom behandelnden Arzt mehr als zehn Formulare beackert werden, das kostet Zeit.

In der Praxis gehe dies deutlich schneller, stellt Abbushi klar, hier sind die Patienten bekannt und die Daten hinterlegt. Der Mehraufwand für die Hausärzte ergebe sich vielmehr durch die Bestellung von Vakzinen, die Priorisierung der Patienten, die Planung und das von Corona unabhängige Tagesgeschäft, das ja weiterlaufen muss, wie die drei Mediziner unisono bestätigen. Das sei keinesfalls runtergefahren worden, betont Straßburg. Alle drei sind davon überzeugt, dass es richtig ist, die Impfungen großflächig in die Verantwortung der Hausärzte zu geben, die nahe an den Patienten dran sind.

Es sei eine Freude, mithelfen zu dürfen, diese Pandemie zu überwinden, sagt Abbushi, der als sogenannter koordinierender Versorgungsarzt für die hausärztliche Versorgung im gesamten Landkreis verantwortlich zeichnet. "Und es ist eine Freude, das Lächeln der Geimpften zu sehen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5257642
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.04.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.