Süddeutsche Zeitung

Mitten in Straßlach:Wellness im Büro

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Moderne Arbeitsstätten warten immer öfter mit Angeboten auf, die einen in den Freizeitmodus treiben. Auch eine Möglichkeit, die Leute wieder aus dem Homeoffice zu locken

Glosse von Claudia Wessel

Eine funktionierende Kaffeemaschine in einer Art Küchenecke, ein Hängeschrank mit einem Sammelsurium aus hässlichen Tassen und mit großem Glück eine aufgerissene Milchtüte - das galt einst als Luxus in Büros. In die Kaffeeecke konnte man sich ab und zu schleichen, sich etwas von der schwarzen Brühe eingießen, den Zettel "Bitte selbst spülen" ignorieren und sich dann wieder an den Schreibtisch verziehen. Ein Büro war eben ein Büro und bestand vor allem aus praktischen Möbeln. Hier sollte man nicht abgelenkt werden und die wichtigste Übung eines Arbeitnehmers bestand daraus, den ganzen Tag so zu tun, als sei er schwer beschäftigt.

Heutzutage scheint Arbeiten nur noch eine Nebensache zu sein in den Gebäuden, die zu diesem Zweck errichtet werden. In einem geplanten Bürokomplex in Aschheim etwa wird es Atrien mit echten Bäumen, Pflanzen und Wasserbassins geben, bei deren Anblick und Geräuschen althergebrachte Arbeitnehmer sofort in den Freizeitmodus verfallen. Zwölf Dachterrassen wahlweise mit Grillecke und Loungemöbeln sind dort angedacht, es gibt ein "reichhaltiges Essensangebot" und Sportmöglichkeiten. Wie man beim Ausnutzen all dieser Angebote überhaupt noch Zeit für Arbeit haben soll, ist ein Rätsel.

Auch in Straßlach-Dingharting soll zum selben Zeitpunkt, Ende 2022, ein "Workresort" fertig gestellt werden - ein Wort, das eher an Spa- und Wellness in einem Luxushotel erinnert als an eine Arbeitsstätte. Hier locken unter anderem Cappuccino vom Barista, eine Food Lobby, ein 2000 Quadratmeter großer Outdoor-Bereich mit Hängematten, es gibt Duschen und Umkleiden und einen E-Bike-Parkplatz. Wer trotz allem einmal zu lange am Schreibtisch sitzt, kann die mobile Massage bestellen. Vor Ansteckung mit Krankheiten ist man durch modernste Lüftungssysteme geschützt, in Aschheim auch "Immune office" genannt.

Das "postpandemische Konzept" war nicht nur aus gesundheitlicher Sicht notwendig. Arbeitgeber müssen sich jetzt einfach etwas einfallen lassen, um die Angestellten aus dem Homeoffice zu locken. "Wer nicht ins Büro muss, muss ins Büro wollen", so der Aschheimer Bauherr. Und wenn es nur wegen der mobilen Massage ist.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2021
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