Süddeutsche Zeitung

Meine Woche:Die stressigsten Tage des Jahres

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Lehrer Torsten Oehl koordiniert Probeunterricht am Gymnasium

Von Annika Eder, Kirchheim

Bei Torsten Oehl steht wohl die stressigste Woche des ganzen Jahres an. Er ist Mitarbeiter im Direktorat des Gymnasiums in Kirchheim und für das Thema Übertritt ans Gymnasium, Einschreibung und Probeunterricht zuständig. Von Dienstag bis Donnerstag steht der Probeunterricht im Mittelpunkt. Es ist die letzte Chance für Viertklässler, die den nötigen Notendurchschnitt von 2,33 nicht erreicht haben oder von einer privaten Schule kommen, den direkten Übertritt ans Gymnasium zu schaffen. Als "Hochstresssituation" bezeichnet Oehl diese Phase, die meisten Kinder könnten damit aber sehr gut umgehen. Da passiere es schon mal, dass während der mündlichen Prüfung die Blicke ganz verträumt gen Fenster wandern - und das trotz der strengen Beobachtung der Prüfer. Die setzen sich am Gymnasium Kirchheim aus Lehrern zusammen, die viel Erfahrung im Umgang mit jungen Schülern haben.

Viel Spielraum bleibe bei den Prüfungen allerdings nicht, die werden nämlich zentral und mit exakten Vorgaben von Bayern gestellt. Trotzdem plant Oehl genug Zeit ein, um den Kindern die Angst ein bisschen nehmen zu können. Stifte spitzen, Namensschilder schreiben, das Federmäppchen ordnen. Das gebe den Kleinen Sicherheit und nehme die Nervosität. Die gute Vorbereitung hilft in den meisten Fällen dennoch nicht. Die Erfahrung zeige, dass nur die allerwenigsten die Prüfungen bestehen. Und das sei auch gut so, sagt Oehl, es habe schon seine Berechtigung, warum es nicht bereits im ersten Anlauf mit dem Übertritt geklappt habe. Der Probeunterricht sei nicht dazu da, das bayerische System auszutricksen.

Für so manchen Knirps gehe mit einer Absage trotzdem die Welt unter, auch die Eltern könnten beim entscheidenden Anruf am Donnerstagnachmittag die Enttäuschung nicht immer verbergen. Das Telefonieren ist ebenfalls Aufgabe von Oehl. Spurlos gehe das Telefonat natürlich nicht an ihm vorbei, alle Lehrer seien sich der Tragweite ihrer Entscheidung sehr bewusst. Es helfe aber, sich daran zu erinnern, dass der Probeunterricht wirklich nur für Ausnahmen gedacht sei. Er führe zwar keine Statistik, aber es habe sich schon häufiger gezeigt, dass Kinder, die durch den Probeunterricht ans Gymnasium kamen, in den Folgejahren tendenziell öfter Probleme hatten, mitzuhalten. Manche Kinder bräuchten aber auch einfach noch ein bisschen Zeit und der Übertritt nach der vierten Klasse sei ja bei weitem nicht die letzte Chance auf die allgemeine Hochschulreife. Man könne auf unterschiedlichstem Wege zum Abitur gelangen. Ein Weltuntergang ist ein nichtbestandener Probeunterricht also nicht.

Für Oehl und seine Kollegen ist es keine leichte Woche. Trotzdem versucht er, nach der Schule die Arbeit beiseite zu lassen und sich mit schönen Dingen abzulenken. Daheim wartet auf den glücklichen Vater seine kleine Tochter. Übertritt und Probeunterricht sind dann nicht mehr wichtig. Zumindest jetzt noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2018
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