Süddeutsche Zeitung

Hundert Tage im Amt:Plötzlich Chef

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Der neue Oberschleißheimer Bürgermeister hat weder Erfahrung in der Politik noch in der Verwaltung. Und hat sich doch schnell eingearbeitet.

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Viel mitbekommen haben die Oberschleißheimer von ihrem neuen Bürgermeister noch nicht. Das erste Anzapfen, in Oberschleißheim beim Frühlingsfest unmittelbar nach dem Dienstantritt üblicherweise der erste große Auftritt des Neuen, entfiel wegen Corona wie jeder andere öffentliche Akt, mit einer Panne ist der Bürgermeister bislang nicht ins Gerede gekommen und parteipolitisch herrscht gerade absolute Waffenruhe.

Seine ersten hundert Tage hat der neu gewählte Bürgermeister Markus Böck von der CSU überwiegend auch im Wortsinn im Amt verbracht, nämlich im Rathaus.

"Fluch und Segen" sieht er in der Corona-bedingten Sondersituation zum Amtsantritt. Einerseits vermisse er "das Repräsentieren, draußen bei den Leuten zu sein" extrem, sagt er. Andererseits habe er sich so zum Start quasi nur auf die Schreibtischarbeit und das Einfinden in die Verwaltungsabläufe konzentrieren können.

Böck hat nie dem Geneinderat angehört

Und das ist bei ihm nötiger als bei vielen anderen neuen Kollegen gewesen. Böck hat nie dem Gemeinderat angehört, als Polizist keine Schlüsselerfahrung für einen Kommunalpolitiker mitgebracht - und ist überhaupt erst mitten im Wahlkampf erstmals in der Ortspolitik in Erscheinung getreten.

"Am Reintasten werde ich noch einige Zeit sein", räumt er selbst ein. Dennoch fühle er sich nach der ersten Wegmarke von hundert Tagen "super angekommen". Wie erwartet, sei es "brutal viel Büroarbeit", aber darauf habe er sich eingestellt gehabt. In und mit der Gemeindeverwaltung funktioniere es "super", schwärmt er. Zunächst durch Corona isoliert, habe er mittlerweile auch "schon wichtige Gespräche führen können", wodurch sich die einzelnen Themen und Aufgaben immer weiter erschlössen. "Die Puzzleteile finden zusammen", umreißt er es, "eines baut auf dem anderen auf."

Die Aufgaben, die er auf seinem Schreibtisch hat, lesen sich nur unwesentlich anders als in der Hundert-Tage-Bilanz seines Amtsvorgängers Christian Kuchlbauer (Freie Wähler) vor sechs Jahren. Für die Realisierung der beiden ausstehenden Wohn- und Geschäftsblöcke zur Abrundung der neuen Ortsmitte, 2014 schon akut, habe es "sehr schnell" Gespräche gegeben, berichtet Böck. Jetzt sei er "fest überzeugt, dass dies das erste Projekt ist, das in meiner Amtszeit umgesetzt wird".

Auch die Realisierung eines neuen Gewerbegebiets und der Wohnbebauung an Kreuzacker und Schäferanger, Themen bereits 2014, haben den Bürgermeister schon umgetrieben. "Beim Gewerbegebiet müssen wir anpacken", stellt er klar, damit müsse endlich die Einnahmesituation der Gemeinde aufgebessert werden.

Den Gemeindehaushalt hat Böck als "Achillesferse" aller Pläne und Visionen ausgemacht. Wegen der Steuerausfälle durch die Corona-Krise war die Überarbeitung des Etats für 2020 gleich sein unfreiwilliger Crashkurs in Gemeindefinanzen. An eigene Projekte sei da noch nicht zu denken gewesen, betont er: "Es gibt zu viel Arbeit an den bestehenden Aufgaben." Und zu wenig Mittel, um alles zu finanzieren, was schon lange gewollt, gewünscht und ins Auge gefasst ist.

Der Schritt vom Mitarbeiter zum Chef ist nicht einfach

Umsetzen will Böck jetzt erst einmal einige Korrekturen an den Strukturen im Rathaus. Dort habe er "schon das ein oder andere erkannt, was zu ändern wäre", berichtet er, aber er werde das "nicht mit dem Hammer durchsetzen".

Seine neue Rolle als Chef von annähernd hundert Mitarbeitern war übrigens das, was dem Politnovizen das fremdeste Gefühl vermittelt hat. "Damit hatte ich noch nie Berührungspunkte", sagt er, "und der Schritt vom Mitarbeiter zum Chef ist nicht der einfachste..." Völlig neu etablieren möchte er einen engen Austausch und Informationsabgleich mit seinen Stellvertretern Harald Müller (SPD) und Casimir Katz (FDP). Dieses Forum hatte es zuvor nicht gegeben, nachdem der Draht zwischen Kuchlbauer und seiner Vize Angelika Kühlewein (CSU) bestenfalls suboptimal gewesen war.

Wie vor sechs Jahren darf der Neue bislang auch in einem weitgehenden Burgfrieden im Gemeinderat starten. Der Vertrauensvorschuss, der schon 2014 nach einer Dekade voll Zank und Hader auch Kuchlbauer zunächst gewährt worden war, ist für Böck bislang offenbar wieder aufgelegt. Nachdem er als Besucher viele Sitzungen zum Ende der Ära Kuchlbauer voller Grant miterlebt hatte, sei er "sehr positiv überrascht" über die momentane Atmosphäre, freut sich Böck. "Bisschen eine Aufbruchstimmung" macht er aus: "Jeder will was vorwärtsbringen." Allerdings habe es auch "noch kein großes Konfliktpontenzial gegeben", räumt er ein.

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SZ vom 21.08.2020
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