Süddeutsche Zeitung

Kultur in Zeiten der Pandemie:Kampf gegen Windmühlen

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Das Bürgerhaus Unterföhring präsentiert das Programm für die kommende Saison. Der Abonnement-Verkauf startet am Samstag - auch wenn die aktuelle Corona-Situation die Erwartungen dämpft

Von Udo Watter, Unterföhring

Als die Pandemie vor langer, langer Zeit das erste Mal so richtig Fahrt aufnahm, avancierten Bücher wie Albert Camus' "Die Pest" oder José Saramagos "Die Stadt der Blinden" zur Lektüre der Stunde. Wenn man heute, nach mehr als anderthalb Jahren, zwei Lockdowns und etwa drei bis vier Wellen, im philosophisch-literarischen Kosmos nach erkenntnisfördernden Inspirationen zu Corona sucht, wäre vielleicht Nietzsches Idee von der ewigen Wiederkehr des Gleichen ("Zarathustra") angemessener - oder auch Cervantes' "Don Quijote". Der Kampf gegen Windmühlen, ähnelt er nicht manchmal dem Kampf gegen das Virus? Und dass der Ritter von der traurigen Gestalt nicht zwischen Dichtung und Wahrheit, Illusion und Wirklichkeit unterscheiden kann, macht ihn das andererseits nicht zu einem gewissen Role Model für Coronaleugner oder impffeindliche Verschwörungsschwurbler?

Wenn das Neue Globe Theater in der kommenden Unterföhringer Spielzeit seine Inszenierung von "Don Quijote" zeigen wird, sind solche Gedankenspiele aber vielleicht schon wieder (erfreulicherweise) obsolet geworden. Als Zwei-Mann-Schauspiel konzipiert - neben Quijote tritt natürlich Sancho Panza auf - wäre es zwar ohnehin pandemie-kompatibel, aber die Hoffnung, dass zum Aufführungstermin (29. Mai 2022) das Infektionsgeschehen und die medizinische Lage deutlich besser sind als jetzt, lebt natürlich.

"Vielleicht sind wir im Frühjahr drüber hinweg", sagt Unterföhrings Kulturamtsleiterin Barbara Schulte-Rief. Für den Abo-Verkauf, der an diesem Samstag im Bürgerhaus (10 bis 14 Uhr) startet - das neue Programmheft für die Frühjahrs- und Sommersaison ist gerade erschienen - ist die Situation indes mehr als suboptimal. "Es wird sicher keinen Zuwachs an Abos geben", so Schulte-Rief. Als das Programmheft vor einiger Zeit gedruckt wurde, war die Zuversicht noch groß, dass die Corona-Einschränkungen spätestens im neuen Jahr weitgehend aufgehoben sein würden. Schulte-Rief kann sich jetzt zumindest damit trösten, dass Stammabonnenten derzeit so gut wie nicht abspringen, dem Haus also treu bleiben. "Eine große Kündigungswelle gibt es bis jetzt noch nicht." Auf das Programm, das sie und ihr Team konzipiert haben, ist sie durchaus stolz - besonders neugierig ist sie etwa auf das Schattentheater-Ensemble "Moving Shadows", das am 26. April in Unterföhring gastiert sowie das satirische Schauspiel "Cordoba - das Rückspiel" am 29. April 2022. Weitere Höhepunkte könnten, wenn sie denn wie geplant stattfinden, das Musical Rock me, Hamlet!" am 29. Januar sein, der Auftritt des Odyssee Dance Theatre Anfang April oder der hochvirtuosen Percussionkünstler "Double Drums" (23. Juni). Vergnügen für Herz und Hirn dürften die kabarettistischen Abende mit Martin Frank (16. Februar), dem "Bavarian Influencer" Helmut A. Binser (19. Mai), mit Lutz von Rosenberg Lipinsky ("Demokratur - die Wahl der Qual, 24. Mai) oder Claudia Pichler (Eine Frau sieht weißblau", 29. Juni) machen. Dazu kommen natürlich noch jede Menge an Konzerten, Theater, Opern, Ausstellungen, Kinovorführungen. Generell sei die Resonanz auf das Programm positiv gewesen, so Schulte-Rief.

Das trifft auch auf die aktuelle Publikumsresonanz zu. Die Aufführungen der Laienspielgruppe Unterföhring, die jetzt an diesem Freitag und Samstag den Schwank "Deifi Sparifankerl" zeigen, sind nach wie vor gut gebucht. In Unterföhring galt ja schon länger 3 G plus, sodass der Sprung zu 2-G-Regeln, die jetzt eingehalten werden müssen, ohnehin eher gering ist. Vom Ablauf, von der Organisation der Kontrollen her sei es wenig problematisch. Bei der Ticket-Rückgabe sei man nach wie vor kulant. Und: "Immerhin findet die Kultur noch statt, und wir wollen das so lange aufrecht erhalten wie möglich", sagt Schulte-Rief. Mittel- bis langfristig sieht sie aber elementare Schwierigkeiten im Kulturbereich: Was die Tourneetheater angeht, die nicht mehr auf Tour gehen können und denen Spielstätten wegfallen. Zudem, was den personellen Aderlass in der Branche angeht, etwa bei den freiberuflichen Beleuchtern oder Technikern.

Aber auch bei ihr und dem fest angestelltem Personal am Bürgerhaus frisst die unsichere Aussicht auf die kommenden Monate Energie und Zuversicht. "Wir haben am Ende des Sommers gesagt: Ja, es war eine Zeit, in der wir auch einiges gelernt haben: etwa die Techniker beim Live-Streaming." Gewisse Grenzen der Flexibilität seien freilich irgendwann erreicht.

In der Quijote-Produktion des Neuen Globe Theaters wird der "Kampf gegen die Windmühlen" zum Kampf des Protagonisten mit sich selbst und am Ende gar zur Konfrontation mit sich als literarischer Figur: Nichts ist wirklich in Quijotes Welt. Alles ist Schein, alles ist Theater.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2021
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