Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Pullach:Zaubermeister und Giftmischer

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Die Atmosphäre im Pullacher Gemeinderat ist toxisch und auch der Wahlkampf tobt aufs Heftigste. Als Verursacher gilt vielen die Vereinigung Wir in Pullach, die schwere Attacken gegen Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund von den Grünen fährt. Die will wiedergewählt werden, muss sich aber vier Konkurrenten erwehren.

Von Michael Morosow, Pullach

Die Pullacher Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund besitzt das Zauberdiplom. So kann sie Dinge einfach verschwinden lassen oder aus dem Hut hervorzaubern. Auf der politischen Bühne ihrer Heimatgemeinde kann sie ihre magischen Künste freilich nicht zum Einsatz bringen, was durchaus schade ist. Es wäre schon grandios, wenn die 56-Jährige nur mit den Fingern schnippen müsste, und die elendigen Bahngleise samt Bahnhof wären unter der Erde, das Ortszentrum würde in neuem Glanz erstrahlen, alle Schulen wären gebaut und die nervige Schwimmbaddebatte würde ein Ende finden. Vielleicht könnte sie dann in der ein oder anderen Sitzung auch einfach mal leise "hex, hex" sagen, und jedem im Gremium würde die Zunge steif. Das Klima im Gemeinderat ist toxisch und die Giftmischer, so beklagen es die Fraktionen von CSU, Grünen, SPD und FDP sind in den Reihen der WIP-Fraktion zu suchen.

Über die Verwerfungen im politischen Betrieb der idyllischen Isargemeinde wird man seit Monaten im Isar-Anzeiger auf dem Laufenden gehalten. Hier tobt der Wahlkampf aufs Heftigste, und in letzter Zeit werden die Frontlinien bevorzugt in den Leserbriefspalten gezogen. Den Fehdehandschuh, das ist unstrittig, hat dabei Beate von Bergwelt hingeworfen.

Sie reitet Woche für Woche teils scharfe Angriffe gegen Gemeinderäte anderer Fraktionen, wobei sie nicht davor zurückschreckt, Einzelnen persönliche Bereicherung vorzuwerfen, ohne konkret zu werden, von Amtsmissbrauch, Selbstbedienungsmentalität und einem "Gschmäckle" schreibt und dabei einfach mal festlegt, dass sich Gemeinderäte Privilegien und Pöstchen von der grünen Bürgermeisterin zuschustern lassen. Eigentlich ein Fall für die kommunale Aufsichtsbehörde, möchte man meinen. Die Angriffe würden fraktionsübergreifend vom Gemeinderat als abschreckend, ehrabschneidend und als verletzende Fake News empfunden, heißt es in einer im Isar-Anzeiger erschienenen Stellungnahme der Bürgermeisterin.

Susanna Tausendfreund, Grüne: Alter: 56, wohnt seit Geburt in Pullach Familienstand: verwitwet Beruf: Rechtsanwältin, Bürgermeisterin Hobbys: Radlfahren, Segeln, Garteln und die Zauberkunst

Christine Eisenmann, CSU: Alter: 53, wohnt seit 1997 in Pullach Familienstand: verheiratet Beruf: Staatlich geprüfte Bautechnikerin Hobbys: Menschen und Natur in der Malerei und Fotografie, Wandern und Skifahren

Reinhard Vennekold, WIP: Alter: 56, wohnt seit 2001 in Pullach Familienstand: verheiratet, eine Tochter Beruf: Selbständiger Vermögensberater Hobbys: Skifahren, Oldtimer, Handwerken und Garten

Michael Schönlein, SPD: Alter: 41, wohnt in Pullach seit 2014 Familienstand: verheiratet Beruf: Dipl.-Finanzwirt, Berufsschullehrer Hobbys: Motorräder und Motorradfahren, Russland, Hund & Katz

Michael Reich, FDP: Alter: 49, wohnt in Pullach seit 2006 Familienstand: verheiratet Beruf: Rechtsanwalt Hobbys: Fresh-Air-Snapping in verschiedenen Varianten

Von Bergwelt kandidiert auf Platz 6 für den Gemeinderat. Die Leserbriefe aber schreibe sie als Privatperson, betont sie. Das sei ihr demokratisches Recht, sagt der WIP-Vorsitzende Reinhard Vennekold, der nicht nur Bürgermeister werden will, sondern für seine Fraktion das Ziel 7 plus x Mandate ausgegeben hat. Ob diese Rechnung aufgeht, oder sich am 15. März zeigen wird, dass es wohl eher ein Bärendienst gewesen ist, den Kandidatin von Bergwelt für die WIP geleistet hat, ist abzuwarten.

Es wird in der Tat Zeit, dass gewählt wird und ein neues Gremium sich wieder voll auf die Sacharbeit konzentrieren kann. Müsste man dem aktuellen Gemeinderat ein Zeugnis ausfertigen, würde unter den Noten wohl stehen: "Der Schüler könnte bessere Ergebnisse erzielen, wenn er sich nicht so leicht ablenken ließe." Einen kompetenten, zielstrebigen und bei allen Meinungsverschiedenheiten friedfertigen Gemeinderat im großen Sitzungssaal zu wissen, der Schulter an Schulter mit der Verwaltung das Bestmögliche für den Ort herausholen will, war wohl noch nie so wichtig für die Gemeinde wie heute. Pullach steht vor großen Chancen und Aufgaben, im Ortsentwicklungsplan sind Vorhaben aufgelistet, deren finanzieller Umfang von mehreren hundert Millionen Euro jeden Kämmerer zum Schwitzen bringt, selbst wenn die Wunschliste radikal verkürzt würde. Prioritäten müssen festgezurrt werden, und zwar so fest, dass niemand mehr daran rütteln kann.

Christine Eisenmann (CSU) denkt, die richtige Bürgermeisterin dafür zu sein. Bis heute ist sie als Bautechnikerin im Rathaus Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund gegenüber weisungsgebunden, am 15. März soll sie das Rathaus für die CSU zurückgewinnen, das mit einer Unterbrechung (Sabine Würthner, FDP, 1996 bis 2002) von 1946 bis 2014 in der Hand der Schwarzen war - bis Tausendfreund vor sechs Jahren erste grüne Bürgermeisterin im ganzen Landkreis wurde, während sich die CSU selbst zerfledderte und ihr Kandidat Andres Most in der Stichwahl klar durchfiel.

Profiteur war damals die Wählergemeinschaft "Wir in Pullach" (WIP) die Ende 2013 als Spaltprodukt der internen Zwistigkeiten im Lager der CSU bei der Bürgermeisternominierung hervorging und 100 Tage darauf auf Anhieb fünf Sitze im Gremium erreichte, während die CSU von neun auf fünf Sitze zurückfiel. Nunmehr will WIP-Chef Reinhard Vennekold, der sich intern gegen Cornelia Zechmeister durchgesetzt hatte, Bürgermeister werden, unter anderem weil er es besser könne als Tausendfreund, wie er sagt.

Vielleicht ist es ein Vorteil für Kandidaten, wenn sie von außen kommen und noch kein Rädchen im aufgeregten Politbetrieb in Pullach waren. Jedenfalls haben Michael Schönlein (SPD) und Michael Reich (FDP) zuletzt bei einer Podiumsdiskussion der fünf Bewerber durch ihr lockeres Auftreten und durch Witz und Esprit vernehmlich gepunktet beim Publikum. Wenn keiner von ihnen Bürgermeister werden wird, für den Gemeinderat wären sie wohl eine Bereicherung.

Und Amtsinhaberin Tausendfreund? Wenn sie wiedergewählt wird, will sie weiterhin in erster Linie Bürgermeisterin und erst in zweiter Grüne seine, wie sie sagt. Ihre Erfolgsbilanz, von ihren Kritikern geschmäht, könne sich sehr wohl sehen lassen, sagt sie und zählt neben vielen Verbesserungen im Bereich der Kinderbetreuung auf: Umgestaltung des Friedhofs, Kauf eines Waldes an der Isar, Sanierungsmaßnahmen im Gewerbepark, Ausbau der Geothermie. Vielleicht sollte sie dann noch einen Zauberkurs für Fortgeschrittene belegen. Vielleicht aber braucht sie ihn dann nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2020
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